Es ist klar geworden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Kinderregelleistungen, sondern genauso die Erwachsenen Regelleistungen prüfen wird.
voraussichtlich im Januar 2010. Es ist demnach weiterhin bis zur Urteilsverkündung möglich Überprüfungsanträge zu stellen!
Darauf hatten viele Empfänger von Arbeitslosengeld II (AlG II), Sozialpolitiker und Fachjuristen lange gewartet: am 20. Oktober 2009 befaßte sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der Frage, ob die Regelleistungen bei Hartz IV für ein menschenwürdiges Leben ausreichen.
Nachdem schon zwei Jahre vorher in einem Urteil vom 20.12.2007 der Zweite Senat des obersten Gerichtshofes die 2005 gegründeten Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagenturen und Kommunen für verfassungswidrig erklärt hatte, droht der Hartz-IV-Reform beim Ersten Senat nun ein ähnliches Schicksal für die Festlegung der Regelleistungen.
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)
Die Ministerialrätin des BMAS, zu sehr Fachfrau als daß sie mit politikerüblichen Floskeln die Frage hätte überspielen können, gab zu: man habe schon auch Kollegen gefragt "wie hoch würdet ihr den Anteil schätzen?" Nur der Respekt vor dem Gericht verhinderte, daß das allgemeine Schmunzeln im Zuschauerraum zu einem schallenden Gelächter wurde.
Ähnlich bei der Frage, warum die Anpassung der Regelleistungen nach den Rentenerhöhungen erfolgt und nicht nach den Preissteigerungen: da gäbe es eben verschiedene Möglichkeiten, und man habe sich für diese entschieden, weil das auch der Lohnentwicklung entspricht. Das Gericht belehrte die Bundesregierung, daß dies nur teilweise zutrifft.
Bildungskosten kann man erst dann herausnehmen, so Gerichtspräsident Papier, wenn Länder und Kommunen verbindlich die Kostenübernahme geregelt haben.
Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Als Präsidentin des Sozialgerichtstages trug sie die Erfahrungen aus der gerichtlichen Praxis vor. In der schriftlichen Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht und einen Tag vor der Verhandlung in einem SPIEGEL-Interview hatte die renommierte Sozialrechtsexpertin noch gesagt, nur der Kinderregelsatz sei ein Problem, beim Eckregelsatz für Erwachsene habe sich der Gesetzgeber " immerhin bemüht, deren Bedarf realitätsbezogen zu ermitteln.
Nach der Mittagspause korrigierte Paulat ihre Meinung: nachdem sie nun aus den Aussagen der Regierungsvertreter erfahren habe, wie dieser Eckregelsatz zustande kam, bezweifelt sie ihre eigene Stellungnahme.
Paulat ist nicht irgendwer, sie steht als gewählte Vorsitzende des Fachverbandes für die Sozialgerichtsbarkeit in ganz Deutschland.
Während die Statistiker über die EVS und die Juristen über Auffangparagraphen diskutierten, trug der seit vielen Jahren arbeitslose Thomas K. das Schicksal seiner Familie vor. Er erzählte über seine 15jährige Tochter, die mit einem hervorragenden Abschluss die Hauptschule abgeschlossen hat. Und über seine Frau, die sich immer darum sorgte, daß das Mädchen in der Schule nicht ausgegrenzt wird, weil die Familie von Hartz IV lebt. Einfach war dies nicht für den Familienvater, seitdem bekannt ist daß er gegen die Regelleistungen klagt wird seine Familie von Unbekannten bedroht.
Offner Brief an die Bewegung
Guten Tag,
am 20. Oktober 2009 wurde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene (!) und Kinder (!) verhandelt. Ich bin, mit meiner Familie, einer der Kläger gegen die Hartz-IV-Regelsätze insgesamt, möchte kurz über den Termin informieren, einige Medieninfos dazu tun, darauf hinweisen, was man/frau nun als Betroffene/r weiter tun kann - und ich möchte Mut machen, sich zu wehren!
2. Das BVerfG - auch dies wurde gleich zu Anfang gesagt - sieht durch Hartz-IV die Menschenwürde gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verletzt, ferner das Sozialstaatsgebot (Artikel 20 GG). Das ist schwerwiegend, vor allem, weil der Präsident gleich zu Anfang darauf hinwies.
pelze?
Allerdings wurde dieser Datensatz, die "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe" (EVS), vom Sozialministerium keineswegs unverändert übernommen, sondern für die einzelnen Posten mit "Abschlägen" versehen: Die Ausgaben für Bekleidung etwa wurden nur zu 89 Prozent berücksichtigt, also mit 21,58 Euro monatlich statt mit den in der Umfrage ermittelten 23,97 Euro, weil - so die offizielle Begründung - die Befragten auch Geld für "Maßkleidung und Pelze aufgewendet hätten, was für Sozialhilfeempfänger folglich wieder herauszurechnen sei.
Ausgaben für Gesundheitspflege sowie "Nachrichtenübermittlung" wurden nur zu 64 Prozent und für Verkehrsmittel sogar nur zu 37 Prozent angesetzt. Gesamtergebnis: ein Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen von 345 Euro in den alten und 331 Euro in den neuen Bundesländern. Damit soll bis auf Miete und Heizkosten alles abgegolten sein.
Vor allem diese Abschläge seien ein "Problem", gab Papier gleich in seiner ersten Frage ohne viel Federlesen die Haltung der Richterbank zu erkennen. Könne man wirklich "davon ausgehen, dass ein gewisser Anteil" des maßgeblichen unteren Fünftels der Bevölkerung "sich um Maßkleidung und Pelze bemüht?" Und auffallend sei auch, so Papier, dass, als es neue Daten gab, einfach die Abschläge verändert wurden und am Ende wieder eine "punktgenaue Landung" auf dem politisch gewünschten Regelsatz von 345 Euro herauskam.
"Auf verschiedenen Wegen" hätten die Fachleute diese Abschläge bestimmt, wand sich die befragte Ministerialrätin, "wohl wissend, dass das nicht hundert Prozent treffgenau" sein werde.
Die Treffgenauigkeit dieser Antwort stellte die Richter jedenfalls nicht zufrieden. Wieso seien etwa Ausgaben für Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung überhaupt nicht berücksichtigt, wollte der Berichterstatter Ferdinand Kirchhof wissen. Woher wisse "derjenige, der die Abschläge macht", dass im unteren Einkommens-Fünftel der Bevölkerung "überhaupt solche Ausgaben getätigt werden", fragte Verfassungsrichter Michael Eichberger. Und wieso könne man überhaupt irgendwo kürzen, bohrte seine Richterkollegin Christine Hohmann-Dennhardt nach, wenn der Gesetzgeber doch davon ausgegangen sei, dass die ALG-II-Empfänger einen möglichen Mehrbedarf an der einen Stelle mit Einsparungen an anderer Stelle in "Eigenverantwortung" kompensieren müssten?
Und inzwischen seien - auf Grundlage der neuen Stichprobe aus dem Jahr 2003 - die Abschläge deutlich zurückgenommen worden.
Auch vom Statistischen Bundesamt bekamen die Ministerialen nur wenig Hilfe in ihrer Erklärungsnot. Die Frage gehe "zu tief in die Detaillierung", musste dessen Amtschef Roderich Egeler schon bei naheliegenden Nachfragen bekennen und überließ es seiner Mitarbeiterin, die Bedenken der Richter indirekt zu bestätigen: "Nein", räumte diese auf das Insistieren von Richter Eichberger ein, die Abschläge bei der Kleidung etwa könne sie auch nicht belegen.
Wenn das Existenzminimum in der - nach dem Grundgesetz unantastbaren - Menschenwürde verankert sei, so Bryde, müsse dann nicht "die Möglichkeit bestehen, einen ganz individuellen Bedarf zu berücksichtigen"? Und müsste es eine solche "Öffnungsklausel" nicht erst recht geben, wenn der Gesetzgeber auf statistisches Material zurückgreift, das mit Unsicherheiten belastet ist?