Dieser
Text ist aus "Zweierlei Israel, Mohe Zuckermann im Gespräch
mit Volker Weiss". Dies Kapitel heißt "Linke Antisemiten-
meine Todfeinde".
Von: Jochen
Sievers
wallenz@ginko.de
Datum: Di, 14. Okt 2003 11:34:05 Europe/Berlin
An: Wohlenberg Gerd: flohi@ginko.de
Betreff: Zuckermann, Weiss und co.
»Linke Antisemiten - meine Todfeinde« Aus
”Zweierlei Israel“ Auskünfte eines marxistischen
Juden an Th. Ebermann, Hermann Gremliza und V. Weiss (Kursiv
gedruckt sind die Fragen der Gesprächspartner von Zuckermann,
namentlich aber nicht gekennzeichnet)
Ist nicht gerade der Antisemitismus ein Beispiel dafür,
wie Ideologie sich von der materiellen Basis verselbständigt
und ohne jeden rationalen Anlaß - von Ursache nicht zu reden
-fortwirkt?
Wenn in einem palästinensischen Schulbuch steht, Allah hat
die Juden in unser Land gebracht, um sie auszulöschen, wenn
die ägyptische Staatszeitung »Al-ahram« Hitler
lobt, der aus Mitleid mit der Menschheit versucht habe, alle Juden
auszurotten, wenn eine jordanische Zeitung schreibt, Eichmanns
Tätigkeit habe sich als wirklicher Segen erwiesen, wenn das
Wort »Nazi« in der arabischen Welt einen guten Klang
hatte, bis die Sowjetunion, mit der diese Staaten verbündet
waren, ihnen das ein bißchen abgewöhnt hat, wenn
»Mein Kampf« und die »Protokolle der Weisen von
Zion« Bestseller geworden sind, ist dann dieser
»Überbau« nicht längst Basis? Zumal dieser
Antisemitismus eben nicht Produkt des Islam ist, weshalb etwa
Norbert Elias seiner ersten Lebensjahre unter osmanischer
Herrschaft in einer bulgarisch-rumänischen Grenzstadt mit
Dankbarkeit gedenkt. Die Behauptung, der Islam sei genuin
antisemitisch ist Teil des Versuchs, das Christentum, unter dessen
Ägide Auschwitz stattgefunden hat, als die vergleichsweise
emanzipatorische Religion zu verkaufen.
Die Zitate aus »Al-ahram« und anderen Quellen belegen
nicht, daß es in der arabischen Welt einen essentiellen
Antisemitismus gibt. Daß jede Religion Zitate liefert, die
Mitglieder anderer Religionen verteufeln, liegt im Wesen von
Religionen. Keinen Antisemitismus gibt es nur im Judentum, auch
wenn die schönsten antisemitischen Witze noch stets von Juden
erfunden worden sind. Im Ernst: Die beste Arbeit über den
Antisemitismus in den arabischen Ländern hat der Tel Aviver
Professor Israel Gershoni geschrieben, ein Mann, links genug in
seiner kritischen Ausrichtung, um die richtigen Fragen zu stellen,
der zu dem Ergebnis kommt, daß es einen genuinen islamischen
Antisemitismus nicht gibt. Der Antisemitismus, den es in der
arabischen Welt heute gibt, muß politisch begriffen werden,
wenn man ihn bekämpfen will und nicht als Horrorvisionen der
Ausweglosigkeit instrumentalisieren. Ich will ja nicht sagen, die
arabische Welt sei meine Lieblingswelt, in der alles edel und gut
ist. Der Antisemitismus hat dort Formen angenommen, die zwar heute
noch nicht die Vernichtung der dort lebenden Juden bedeuten, aber
daß es da wildeste Phantasien gibt, das kann kein
vernünftiger Mensch auch nur versuchen, in Frage zu stellen.
Daraus eine Dämonisierung des Islams ableiten zu wollen, wie
KONKRET das tut, halte ich für falsch. Religion ist
Zivilisationsneurose, ich bin da ganz Feuerbach, ganz Marx und vor
allem ganz Freud. Wenn wir diesen Ansatz verfolgen, bin ich sofort
dabei. Daß Religion Neurose ist, sage ich in Interviews in
Israel vorzüglich an hohen Feiertagen. Alle Religionen, auch
das Judentum als Religion, müssen sich auflösen. Die
Dämonisierung des Islam ist für mich ein politisches
Problem und kein religionsphilosophisches. Der Islam ist heute ein
Instrument im Kampf großer Teile der Dritten Welt mit der
Ersten.
Die Konferenz gegen Rassismus in Durban, ein
Solidaritätstreffen zugunsten der Dritten Welt, wurde zu einem
antizionistischen Weltkongreß. Am Ende weigerten sich 81
Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International, die
Abschlußerklärung zu unterschreiben, weil sie extrem
intolerant, verletzend, einseitig gegen Israel gerichtet sei und
antisemitische Klischees reproduziere. Teilnehmer aus dem
arabischen Raum leugneten den Holocaust und verteilten
Flugblätter mit antisemitischen Karikaturen.
Südamerikanische, afrikanische und indische Gruppen haben den
arabischen Teilnehmern vorgeworfen, den Kongreß zu
instrumentalisieren. Aber es gab auch viel Beifall, wenn der
Zionismus als Feind aller Menschen bezeichnet wurde. Was auch da
wieder Erfolg hatte, war die reaktionäre Form der
Sozialkritik: die Verklausulierung des antisemitischen Gedankens im
antikapitalistischen Sprechen. Antisemitismus ist immer
Aufbegehren. Der Antisemit, wahnhaft getrieben, wehrt sich gegen
etwas Übermächtiges. Das unterscheidet ihn vom Rassisten,
der das Objekt seines Hasses verachtet. Er guckt nach unten. Der
Antisemit guckt nach oben, und oben ist das Kapital. Deshalb gibt
es linken Antisemitismus, er ist ein fehlgeleiteter
emanzipatorischer Impuls.
Was ich nicht will, ist, daß die Kritik des linken
Antizionismus das Problem entsorgt, welches die zionistische
Oppression für Israel und Palästina heute darstellt. Auch
diese Unterdrückung muß aus der Welt geschaffen werden.
Daß die linken Antizionisten Antisemiten sind, entschuldigt
den repressiven Zionismus, von dem ich rede, sowenig wie
antisemitische Parolen in Durban. Weil diese Typen einen Knall
haben, hat doch Sharon noch nicht recht; er bleibt für mich
ein Kriegsverbrecher. In Deutschland treffe ich einerseits auf
Antisemiten, andererseits auf Leute, die mich wegen meiner
kritischen Haltung als Vorzeigejuden linker Antisemiten bezeichnen.
Da kann ich nur antworten: Kinder, lehrt mich nicht, was
Antisemitismus ist. Ich komme aus einem Zuhause, wo man das
weiß. Ich brauche euren Nachhilfeunterricht nicht. Daß
sich im linken Antizionismus ein Stück Antisemitismus codieren
mag, steht für mich ganz außer Zweifel. Die Frage ist,
was sich da codiert, und da bin ich mir nicht ganz sicher. Warum
bedürfen Linke, die emanzipativ denken, des Antizionismus?
Erste Antwort: Sie sind antisemitisch. Nächste Frage: Kann man
emanzipativ sein, wenn man antisemitisch ist. Meine Antwort,
kategorisch: Nein.
1848 in Paris, auf den Barrikaden im Kampf gegen die
Kapitalherrschaft, zirkulierten bereits gegen das Judentum
gerichtete Flugschriften. Der Antisemitismus hält damals
Einzug in die Rhetorik der Linken und ein bißchen eben auch
in den Marxismus, mit jenen Metaphern des Vampirs, des
Aussaugenden, die sich bis heute gehalten haben und im
Antiglobalisierungsdiskurs immer wiederkehren. Die Leute wollen
Emanzipation und reproduzieren Reaktion.
Waren diese Leute in ihrem Wesen wirklich emanzipativ oder waren
sie die Nachbilder von Reaktionären. Prekär wird die
Sache bei Marxens Schrift über die Juden. Obwohl Marx etwas
anderes meinte, sind darin Formen antisemitischer Rhetorik
vorgebildet. Marx will die Emanzipation des Juden durch die
Aufhebung des Kapitals und damit der Zirkulationssphäre.
Daß Marx gleichwohl sich der Form nach antisemitischer Bilder
bedienen konnte, verweist darauf, daß man nicht ganz immun
ist, bloß weil man emanzipativ denkt. Um das mit Hermann
Broch im anderen Zusammenhang zu sagen: Daß ich Kitsch als
die größte Gefahr des 20. Jahrhunderts betrachte,
bedeutet nicht, daß ich ihm gegenüber immun bin. Auch
Marx darf mal furzen.
Mit Auschwitz als Exzeß des Antisemitismus ist ein
weltgeschichtlicher Maßstab für das absolute Böse
gesetzt worden. Damit kann man auf zweierlei Weise umgehen. Adorno
sagt, es sei das Denken und Handeln im Stande der Unfreiheit so
einzurichten, daß Auschwitz oder alles, was ihm ähnelt,
sich nicht wiederhole; denn die Bedingungen für ein Auschwitz,
das nicht unbedingt den Juden gelte, seien nicht aus der Welt
geschafft. Die andere Möglichkeit, damit umzugehen, und das
ist leider die, die letztlich Fuß gefaßt hat, auch bei
Linken, ist, Auschwitz in einem emphatisch
menschheitsgeschichtlichen Sinne als eine Universalschuld, als
einen säkularen Sündenfall zu verstehen. Und mit Schuld
geht man so um, daß man sie durchlebt, überwindet, sich
ihrer entledigt. Es war ein Bedürfnis der Welt, aller, die
nicht in Auschwitz waren, diese übermächtige Schuld zu
entsorgen. Wenn der Staat Israel nicht da gewesen wäre,
hätte man ihn erfinden müssen, damit an ihm die mit dem
Antisemitismus aufgeladene Schuld entschuldet werden kann. Es ist
kein Zufall, daß 1968 der Nationalsozialismus, der Faschismus
thematisiert wird, nicht Auschwitz. Denn Auschwitz zu denken
bedeutet, den potentiell ewigen Rückfall des Menschen in die
Barbarei zu denken, die eigene Menschwerdung in Frage zu stel- len.
Das ist ein unerträglicher Zustand, übrigens auch unter
Juden, besonders religiösen Juden, die darüber gottlos
geworden sind. Denn wenn das möglich war, dann gibt es keinen
Gott. In einer Welt, die gottlos geworden ist, ist man ziemlich
einsam und verlassen. Man verfällt entweder in
Kulturpessimismus oder in Zynismus.
Wenn es Israel als Zufluchtsort der Überlebenden nicht gegeben
hätte, hätte man ihn erfinden müssen. Nicht nur
Deutschland konnte an den Juden etwas
»wiedergutmachen«, auch die Menschheit, die ihnen
über die UN einen Judenstaat geschenkt hat. Dieser Judenstaat
hat beiden die Möglichkeit gegeben, sich zu entlasten, indem
sie an der Politik dieses Staates entdeckten: Die Juden sind doch
gar nicht besser. Damit bedient der Antizionismus ein
Bedürfnis, das mit dem Staat Israel, mit den Juden dort, auch
mit der Okkupation überhaupt nichts zu tun hat, sondern mit
der Unfaßbarkeit von Auschwitz. Ich bin in meinem eigenen
Leben auf viele Leute gestoßen, die ihrer Unfähigkeit,
die Vernichtung der Juden zu verstehen, mit einer schon peinlichen
Überhöhung von Juden begegnet sind. Ich habe in diesem
Philosemitismus immer ein Stück Antisemitismus gesehen, ich
fühlte, daß sich in ihm eine Aggression verbarg, die nur
auf ihre Chance wartete, zurückzuschlagen. Die Chance kam, als
der Staat Israel Un- recht beging. Leute, die mit Israel oder den
Palästinensern nichts am Hut hatten, denen der Konflikt dort
unten ganz gleichgültig gewesen war, kamen plötzlich
furchtbar in Rage. Wenn die Palästinenser den Holocaust
instrumentalisieren, indem sie die Zahl ihrer aus Libanon
Vertriebenen auf 600.000 hochrechnen, damit ein Äquivalent zu
den sechs Millionen ermordeter Juden entsteht, hat das noch mit
ihrem eigenen Leben zu tun. Wenn Linke irgendwo in der Welt sich
diese Instrumentalisierung zu eigen machen, verselbständigt
sich etwas, das Shula Volkov im Zusammenhang des 19. Jahrhunderts
den Antisemitismus als kulturellen Code genannt hat. Diese linken
Antisemiten sind meine Todfeinde. Das sage ich auch aus
persönlicher Enttäuschung.