Meine Damen und Herren ich möchte mich recht herzlich für die Einladung zu diesem Seminar bedanken. Ich wurde gebeten hier zwei Präsentation zu halten. Später werde ich etwas über die Folgen des Maji-Maji-Krieges erzählen, doch zunächst geht es um die Maji-Botschaft des Propheten Kinjikitile. Was mich am Maji-Maji-Krieg am meisten bewegte, als mich begann mich mit diesem Konflikt zu beschäftigen war die Frage: Wieso glauben Menschen, dass Gewehrkugeln zu Wasser verwandelt werden können; und vor allem, wieso glauben sie es immer noch, nachdem Hunderte von ihnen erschossen wurden? Die Maji-Botschaft hatte eine so große Kraft, dass sie Tausende Menschen gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner mobilisieren konnte. Denn neben der offensichtlichen Unterdrückung durch die deutsche Kolonialherrschaft und den anfänglichen militärischen Erfolgen der Maji-Krieger, war es vor allem die mit den lokalen Glaubensvorstellungen kompatible Maji-Botschaft, die für die rasche Ausbreitung des Krieges sorgte.
Beginnen möchte ich diesen Vortrag mit einem Zitat von Joseph Sihaba. Joseph Sihaba war das was man in der Kolonialzeit einen "Missionszögling" nannte. Joseph Sihaba wohnte auf der Missionsstation der Benediktiner in Peramiho in Ungoni im Südwesten der Kolonie und wurde dort zum Tischler ausgebildet. Er schrieb einen Bericht über "Die letzten Tage von Peramiho", den Pater Wehrmeister später veröffentlichte. Darin beschreibt Sihaba die Maji- Botschaft folgendermaßen:
"Seit Monat August haben wir gehört, in Ungindo sei ein Kimulungu (ein Geist) angekommen, woher hat niemand gewußt und dieses Kimulungu habe eine dawa [Medizin] bei sich. Diejenigen, die davon trinken und dann mit den Deutschen Krieg führen, werden von ihren Kugeln nicht erreicht und werden nicht tot. Dieses Kimulungu hat einen Affen bei sich und der braucht nur aufs Dach zu steigen und es anzuzünden und das Haus brennt zusammen. Ein Mädchen ist auch dabei und wenn viele Leute kommen, dann nimmt es eine Handvoll Maiskörner oder mtama [Sorghumhirse] und streut es auf die Leute und diese fallen und sterben, so viele es auch sind."
Kinjikitile gehörte zum Volk der Ikemba, denen nachgesagt wird, sie seien "bis zum heutigen Tag berüchtigt für ihre Magie," wie ein Historiker es in den 50er Jahren formulierte Nur wenige Jahre bevor der Krieg ausbrach soll Kinjikitile in das Dorf Ngarambe gezogen sein. Ngarambe liegt an den Westhängen der Matumbiberge, etwa achtzig Kilometer von der Küste entfernt. Da sich dort verschiedene Wege kreuzten siedelten sich nicht nur Matumbi in Ngarambe an, sondern auch Angehörige der Pogoro, Ngindo und Ikemba. Kinjikitile wird als eine große, eindrucksvolle Person mit langen Haaren geschildert, die stets einen Kanzu, ein weißes Gewand, trug. Kinjikitile schien nicht allzu alt zu sein, denn es wird berichtet, dass er noch keine grauen Haare hatte. Bevor Kinjikitile zum Propheten der Maji- Botschaft wurde, war er ein Heiler. Seine Fähigkeiten werden folgendermaßen beschrieben:
"Kinjikitie übertraf alle anderen Heiler. Er war mächtiger und viel weiser als die anderen. Er konnte den Leuten gehe ime Dinge sagen, obwohl er nur ein Neuankömmling in Ngarambe war. Seine Anweisungen waren gut. Es sagte, Ehebruch sei schlecht, da er den Körper schwäche und Gott ihn verurteilt. Auch Hexerei sei schlecht und von Gott nicht gewollt . Da sagten die Leute: Oh, dieser Mann hat wirklich eine Verbindung zu Gott, wenn er sogar Hexerei verbietet [ohne die Hexer fürchten zu müssen]."
Kinjikitile war ein besonderer Heiler, der seine Patienten nicht nur mit Medizin aus Kräutern, Wurzeln oder andern Naturmitteln behandelte, sondern zur Therapie auch auf seine Fähigkeiten setzte, mit den Geistern zu kommunizieren, welche die Kranken störten. Als Heiler war Kinjikitile zwar respektiert, genoss aber keine besonders herausragende Stellung. Das änderte sich, als er eine Vision hatte, die den gesamten Süden Tansanias nachhaltig verändern sollte.
"Er wurde eines Tages morgens gegen neun von einem bösen Geist erfasst. Jeder sah es, auch seine Frau und seine Kinder. Sie sonnten sich vor dem Haus, als sie sahen wie er auf seinem Bauch kroch und seine Hände nach vorne streckte. Sie versuchten seine Beine zu ergreifen, um ihn zurückzuziehen, doch es war unmöglich und er schrie, dass er nicht zurückgehalten werden wolle und dass sie ihm wehtäten. Dann verschwand er in einem Teich. Er schlief dort drinnen und seine Verwandten schliefen am Rande des Teiches und warteten auf ihn. Diejenigen, die schwimmen konnten, tauchten hinab in den Teich, aber sie sahen nichts. Dann sagten sie: "Wenn er tot ist, werden wir seinen Leichnam sehen. Wenn er von einem Tier oder Wassergeist ergriffen wurde werden wir ihn tot oder lebendig wieder sehen." So warteten sie und am folgenden Morgen, wiederum gegen neun, erschien er unverletzt und mit trockenen Kleidern, genau so, wie er sie am Vortag angezogen hatte. Nachdem er zurückgekehrt war begann er prophetische Dinge zu reden. Er sagte: "Alle verstorbenen Vorfahren werden zurückkehren. Sie sind beim Gott Bokero in Rufiji Ruhingo. Kein Löwe oder Leopard wird Menschen essen. Wir gehören alle zum Klan des Sultans Said, dem Klan des Sultans allein. Sei es ein Pogoro, ein Kichi oder ein Matumbi, wir gehören alle zum Klan des Sultans." Der Löwe wurde zum Schaf und der Europäer zur Roten Erde oder zum Fisch im Wasser. Lass uns ihn schlagen. Und er fing zwei Löwen, welche er mit einer Schlingpflanze anpflockte. Und die Leute tanzten [...] vor diesen beiden Löwen, doch sie blieben harmlos. Und dann verbreitete sich das Wort dieses Mannes weit."
Kinjikitile verkündete in seiner Vision ungeheuere Dinge, im Effekt eine Umkehr der bestehenden Ordnung. Gefährliche Raubkatzen wurden zu friedlichen Wesen und die verstorbenen Ahnen sollten im Kampf gegen die als übermächtig erscheinenden Deutschen beistehen. Kinjikitiles Vision stand in einem Zusammenhang mit einem merkwürdigen Ereignis, von dem berichtet wird, dass es kurze Zeit vor seinem Verschwinden statt fand. Auch dieses Ereignis war jenseits des Gewöhnlichen, soll es sich doch um eine Riesenschlange gehandelt haben, die sich in einen Mann verwandelte.
Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa schildert das Ereignis mit der Schlange sehr anschaulich:
"Eine riesige Schlange von einer Art und Größe, wie sie niemals zuvor gesehen worden war und mit dem Kopf eines kleinen schwarzen Affen besuchte eines Tages das Haus des alten Herrn Machuya Nnundu in Lihenga nahe des Ortes Ngarambe. Die Schlange war zu groß für das Haus, so dass ihr gewundener Körper aus dem Haus herausquoll, während ihr Kopf über den Körperwindungen aus dem Eingang des Hauses hervorschaute. Sie hatte rote glühende Augen und starrte Furcht erregend auf die Leute, die im Laufe der folgenden drei Tage kamen, um den ungebetenen Gast zu betrachten. Die Schlange hatte die Farben des Regenbogens, ein göttliches Attribut. Am dritten Tag war die Schlange auf wundersame Weise verschwunden. An jenem Nachmittag waren zwei Frauen auf dem Feld mit der Hirseernte beschäftigt als sie plötzlich einen Mann erblickten, der in einem gleißend weißen Gewand gekleidet war. Es war so weiß, dass man es in der Nachmittagssonne nicht anschauen konnte. Doch bevor sie vor Schreck davonlaufen konnten, verschwand der Mann und weder er noch die Schlange wurden jemals wieder gesehen."
Das Auftreten großer Schlangen wird in Ostafrika oft als göttliches Zeichen gedeutet, ist doch die Schlange selbst als ein Gottessymbol, dem an Schreinen geopfert wurde, um Regen und Fruchtbarkeit zu erbitten. In diesem Fall steht die Schlange im Zusammenhang mit dem Gott Bokero. Bokero hatte in der Ausbruchsgegend des Maji-Maji-Krieges in der Nähe des Rufiji-Flusses Schreine, an denen ihm geopfert wurde. Einer dieser Schrein befand sich an den Pangani Schnellen des Rufiji. Regelmäßig wurden diese Schreine von den Beauftragten verschiedener Klane besucht, um durch das Opfern von schwarzen Tieren um Niederschläge zu bitten. Die schwarze Farbe des Fells der Opfertiere steht dabei für die dunklen Wolken, die Niederschläge bringen. Zuwenig Regen lässt die Pflanzen vertrocknen, zuviel hingegen führt zur überschwemmung der Felder und zur Vernichtung der Ernte. Aber Niederschläge in der richtigen Menge verheißen eine gute Ernte und somit ein sorgenfreies Leben. Durch die Kontrolle des Wassers war Bokero für das Wohlergehen der Bewohner verantwortlich. Man hielt Bokero für so mächtig, dass man ihm auch zutraute, die Deutschen, die die Bewohner der Rufiji-Region gängelten, vernichten zu können. Aus einigen Gegenden wird berichtet, dass die Deutschen einer Flutwelle, zum Opfer fallen sollten. Auch diese mächtige Wassermasse wurde von dem Gott geschaffen. Und tatsächlich gab es im Jahr 1906 auch eine große Flut in der Rufiji-Region.