Hell over Deathmarschen

Photoabende sind Geschmacksache. Der Abend wird schon kühl, alle gehen rein und da holt die Hausherrin die Fotos von ihrem Mann aus der Schachtel. Der ist ja mit der zweiten Kompanie des ABC- Abwehrbataillons 610 aus Albersdorf in Afghanistan stationiert und hatte sie gestern geschickt. Sie erinnern sich noch, das waren die Rekruten, die sich den Rocksong "Highway to Hell" der Band AC/DC für ihre kommenden Auslandseinsätze gewünscht hatten. Standortpfarrer Klaus Struve meinte dazu, er wollte das eigentlich nicht kommentieren... . Und ein gemütlicher Abend ist es noch gewesen. Alle wollen helfen und wünschen ihr freundlich, dass er bald wieder nach Hause kommt und dann seine Fotos hier machen kann. Vielleicht bringt er ja ein paar Totenschädel fürs AÖZA mit.

VOLKSZORN IN MITTENWALD

Das Alpen- Städtchen Mittenwald ist in heller Aufregung über die Totenschändung in Afghanistan. Einige der Gebirgsjäger kamen von dort. Der Touristenort geht eilig auf Distanz - manche giften, in Wahrheit seien die Ossis schuld. "80 Prozent der hier stationierten Soldaten kommen aus Ostdeutschland, nur eine Minderheit sind echte Mittenwalder".

Heute sind hier rund 1400 Gebirgsjäger stationiert. Die Armee ist der größte Arbeitgeber der Stadt, knapp 200 zivile Beschäftigte arbeiten in der Kaserne. Man kennt sich, man schätzt sich. Fredi Huber aus dem Fotogeschäft am Mittenwalder Fritz-Pröls-Platz: "Die Soldaten sind super drauf, das sind fleißige, ordentliche Burschen. Im Endeffekt, da ist sich Fredi Huber sicher, "war die Sache mit dem Bär Bruno doch ein Spaß". Doch die Leichenschänder jetzt, "des is' koa Spaß." Dabei meint er die Schießerei auf den Bären als Spaß? Und er weiß vovon er spricht, denn er verkauft und entwickelt ihnen die Filme und weiß was drauf ist.

Viel schlimmer aber treffe der Vorfall die deutschen Soldaten: "Uns geht's hier nur an den Ruf. Da unten in Afghanistan geht es ums Leben. Der Taliban ist gnadenlos, unsere Soldaten da unten sind jetzt gefährdet."

Wenn sie bei Truppenparaden im Gleichschritt durch den Ort marschieren, ist ihnen Beifall sicher. Und wenn sie noch ihre vierbeinigen "Lastenträger", die Maultiere mitführen, geraten Passanten in Verzückung.

"Sie sind freundlich und anständig", sagt eine ältere Frau. Und eine andere meint: "Die fallen hier nicht weiter auf."

Ottmar Schneevogt: „Diese Soldaten können keine geborenen Mittenwalder sein. Die Einheimischen haben Ehrfurcht vor den Verstorbenen. Hier würde niemand die Totenruhe mit Füßen treten.“

Seit 1952 treffen sich an Pfingsten alljährlich die deutschen Gebirgsjägerveteranen aus Hitlers Wehrmacht auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald. Das Treffen ist höchst umstritten, den Veteranen wird die Beteiligung an Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs vorgeworfen: Auf der griechischen Insel Kephallonia sollen sie 1943 über 4000 gefangene italienische Soldaten erschossen haben. Außerdem soll die Elitetruppe die Deportation der griechischen Juden unterstützt haben. Seit Jahren kommen deshalb auch jedes Jahr Hunderte Demonstranten nach Mittenwald.

Leute wie der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber oder Rodel-Olympiasieger Georg ("Schorsch") Hackl rühmen sich ihrer Gebirgsjäger-Vergangenheit. Artikel erschienen am 27.10.2006

Bundeswehr und Staatsanwalt ermitteln gegen sechs verdächtige Soldaten, mindestens zwei von ihnen sollen in Mittenwald stationiert gewesen sein, Mitglieder des Gebirgsjägerbataillons 233. "Der Kommandeur hat mir versichert, dass jetzt gnadenlos hart durchgegriffen wird, der Militärstaatsanwalt ist schon da", sagt der 67-jährige Bürgermeister Salminger und zieht die Stirn über der Brille in Falten. "Vollidioten" und "Holzköpfe" seien die Leichenschänder, "die machen uns alles kaputt, den Ort und die Gebirgsjäger". Bislang war der Kommunalpolitiker auf die Mittenwalder Gebirgsjäger sehr stolz. Bei den Auslandseinsätzen hätten sie sich in der gesamten Bundeswehr "größte Anerkennung erarbeitet". über das Verhalten "von so ein paar Idioten" ärgert sich Salminger umso mehr: "So einen Schmarrn kann man eigentlich nicht einmal besoffen machen", betont er.

Auch Bürgermeister Hermann Salminger war Soldat bei der Tragtierkompanie. Salminger erinnert sich, wie er im Dezember 2002 die ersten Gebirgsjäger aus Mittenwald nach Afghanistan verabschiedet hat. „Damals hatte ich ein mulmiges Gefühl.

Eine Spezialität, die es nur bei den Gebirgsjägern gibt, sind ihre "Mulis": eine Kreuzung aus Pferd und Esel. Sie kommen zum Einsatz, wenn im unwegsamen Gelände andere Transportmittel versagen. Viele Norddeutsche reißen sich um eine Verwendung bei den Gebirgsjägern.

»Das sind doch unsere Mitbürger in Uniform«, unterstreicht Bürgermeister Hermann Salminger, »Wir können uns auf die Männer und Frauen der Bundeswehr verlassen. Mit Toten und Verletzten musste man rechnen, aber. . ."

Die Bundesregierung dankte Dank für die schnellen Ermittlungsergebnisse. Nach drei Jahren jetzt erste Reaktionen auf die öffentlichen Enthüllungen kann man allerdings nicht als schnell bezeichnen. Und dann bestätigen sie auch nur das, was bekannt ist, obwohl die Zeitung schon mit weiteren Skandalen gedroht hat. Dabei gehts nicht um die moralische Verurteilung, sondern wer die Verantwortung trägt.

Nachrichtensperre im Bundeswehr-Idyll

Denn die afghanischen Ansprechpartner, sowie Taliban haben erklärt, dass sie die alltägliche Verwendung von Totenschädeln nicht beeindruckt, dass muss die Deutsche Führung mit ihren Soldaten alleine regeln.

Alljährlich registriert der Wehrbeauftragte des Bundestages eine "Vielzahl" von übergriffen in der Bundeswehr. Gewalt bestimmt nach Darstellung von Reinhold Robbe (SPD) - seit 2005 Wächter über die Rechte der Soldaten - zwar nicht den Alltag der Armee, ist aber ein ernst zu nehmendes Problem. Die spektakulärsten Fälle im Überblick:   Oktober 2004 in Coesfeld: Um das Verhalten bei Geiselnahmen zu trainieren, wurden in der niedersächsischen Freiherr-vom-Stein-Kaserne Rekruten bei "Verhören" gefesselt, getreten, geschlagen und mit Stromstößen traktiert. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) spricht von "unverantwortlichen Ausbildungsmethoden", weist aber Foltervorwürfe zurück.   April 1996 in Hammelburg: Auf dem unterfränkischen Truppenübungsplatz drehen Soldaten des Gebirgsjägerbataillons aus Schneeberg (Sachsen) Horrorvideos mit Hinrichtungs- und Vergewaltigungsszenen -angeblich zur Vorbereitung auf einen Bosnien-Einsatz. Auch zeigen Soldaten in dem Film den Hitlergruß.   Juli 1963 in Nagold: Bei einem Gewaltmarsch in glühender Hitze bricht ein Rekrut der Luftlandedivision zusammen. Nach dem Motto "Fallschirmjäger sind Diamanten, und Diamanten müssen geschliffen werden" treiben ihn Ausbilder unnachsichtig weiter. Eine Woche später stirbt der 19-Jährige an Leber- und Nierenschäden.

Die aus mehreren Bataillonen bestehende Brigade mit Einheiten an verschiedenen Standorten in Süddeutschland hat ihren Sitz im oberbayerischen Bad Reichenhall. Wer zu den über 20000 Gebirgsjägern will, muss körperlich topfit sein und sich auch auf Skiern sicher bewegen können. Als einzige Einheit des Heeres ist die Brigade sowohl unter allen klimatischen Bedingungen als auch im Hochgebirge einsetzbar. Auf dem Lehrplan der Soldaten steht denn auch Gefechts- und Kletterausbildung im Hochgebirge.

Wir erinnern uns, dass die Verfolgungsschlacht in den Stollen des Gebirges im Norden Afghanistans entschieden wurde, mit dem Einsatz dieser merkwürdigen Waffe, die Hitze erzeugt, mit der die Flüchtenden verbrennen sollten.

Nicht nur in Afghanistan, auch bei anderen Auslandseinsätzen der vergangenen Jahre waren Gebirgsjäger ganz vorne mit dabei, so in Kambodscha, für die UN in Somalia sowie im Rahmen der IFOR- und SFOR- Einsätze in Ex-Jugoslawien. Zur Aufgabe der Truppe gehört aber auch die Rettung aus Bergnot. Und die Edelweiß-Spezialisten leisten bei Hochwasser, Erdbeben, Bränden und Katastrophen in vielen Ländern wertvolle Hilfe. Bundeswehreinsatz im Innern. Einer der umstrittenen Pläne der Regierung.

Das Miteinander zwischen Einheimischen und Soldaten sei "so weit in Ordnung", sagt Claudio Corongiu, Inhaber eines Geschäfts für Geschenk- und Trendartikel, fügt aber hinzu: "Wenn man abends weggeht, kommt es öfter mal auch zu Ausschreitungen." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Nicht alle sind friedlich gesinnt." Ob er vor drei Jahren Totenschädel aus Kunststoff verkauft hat, wurde nicht gefragt.

"Vollidioten" und "Holzköpfe" "Ossis" "der Taliban ist gnadenlos", Schädel-Schänder? Solche Reaktionen lassen den Antirassisten erschaudern. Aber es gibt auch ernsthaft Bedenken.

Im städtischen Touristenbüro rief schon eine Frau aus Norddeutschland an, die die Stadt als "Mördernest" beschimpfte.

"Das ist nicht schön, es ist zum Schämen", sagt eine Frau und fügt nachdenklich hinzu: "Die jungen Männer werden vorher vermutlich nicht geschult, auf Leichenfeldern zu stehen."

"Der Krieg lässt die Männer verrohen". Der Freund von Miriam Betzmeier war selber als Soldat einige Zeit in Afghanistan. »Ich bin erschüttert, wie Krieg die Menschen verrohen lässt«, sagt die 25-Jährige. »Die Männer grinsen auf den Fotos. Da war bestimmt Alkohol im Spiel.«

Resi Mitteregger treibt indes eine ganz andere Sorge um. Mit ihren beiden Enkelkindern an der Hand fragt sie im Vorbeigehen an der schmucken katholischen Pfarrkirche: »Kommt Mittenwald jetzt ins Visier von Terroristen?«

"Obwohl die Soldaten vielleicht nicht aus unserem Ort stammen, wird miese Propaganda gegen Mittenwald und die Bundeswehr gemacht", klagt die 84-jährige Ridy Riedl. "Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gemeinde immer wieder mit den Vorfällen in Verbindung gebracht wird", warnt Gastwirt Ronny Möller.