Hier der Beitrag als Radiosendung.

Polenppell: Dass ihr niemals das erlebt, was wir erlebt haben!

Es ist in gewisser Weise Vergleichbar. Irak 2006 und Deutschland 1945. Das Volk ist seinen Führer los. Aber das Volk ist ja keine festgelegte Sache. Für die einen war es eine Befreiung und für die anderen eine Niederlage. Und das Leid ist unaussprechlich, aber es frisst im Innern der Opfer und es frisst im Innern der Kinder der Opfer. Um so tragischer ist die ganze Geschichte, wenn die Kinder feststellen müssen, dass ihre Väter selber dabei waren. Das ist Krieg, eine Abwärtsspirale ohne Ende. Um so hoffnungsvoller stimmt, dass es nach so vielen Jahren eine Begegnung zwischen polnischen Opfern und den Urenkeln deutscher Soldaten gekommen ist. Wie sehr diese Begegnung längst erwartet wurde, zeigt dieser erste praktische Tip:

Irena Frolowitz: Aus meiner Sicht jetzt möchte ich den Jungen Leuten jetzt sagen, dass man in schlechten Zeiten einfach nicht stur sein muss. Ich wünsche euch, dass sie sich dann weiterbilden können, dass sie die Zukunft eures Landes bestimmen können, und ich wünsche mir auch, dass es keine Grenzen gibt unter den Menschen, dass sich alle Menschen mögen und gegenüber einander tolerant sind.

So bummelig 40 Millionen Menschen sind seit 1945 in Deutschland ohne Krieg aufgewachsen. Mit dieser bescheuerten Aussage will ich nur andeuten, dass wir in den Elternhäusern, in den Schulen, den Medien oder der Öffentlichkeit nichts von all dem bewusst machen. Natürlich herrscht Krieg. Deutsche Soldaten sind in mindestens 8 Regionen auf der Welt im Einsatz. Noch immer werden Bomben gefunden, noch immer leiden wir unter den schweren traumatischen Erlebnissen des zweiten Weltkrieges und des Ersten. Das Schrecklich wird abgeblockt, denn es ist schwer erträglich.

Jörg Jacobsen: Ehemalige polnische Zwangsarbeiter kamen vom 3. bis zum 9. November zuück nach Dithmarschen. Als Jugendliche waren sie im II. Weltkrieg hierin verschleppt worden. Am 8. November besuchten sie die Meldorfer Gelehrtenschule, dort fand in der Aula eine gesprächsrunde mit Schülern und Lehrern statt. Moderiert wird die Veranstaltung von Georg Gerchen.

Georg Gerchen: Ich möchte euch dann erstmal Dieter Bossmann geben, der zum Hintergrund noch etwas sagen wird.

Dieter Bossmann: Also nicht zur gesamten Zwangsarbeiterproblematik, dass würde den Rahmen sprengen, sondern zu zwei Punkten. Stellt euch vor, hier sitzen 100 Leute, und es stürmen Soldaten rein und fordern sie auf, sofort rauszukommen, sie müssen dann in Reih und Glied antreten, gehen dann zum Meldorfer Bahnhof, kommen dann in Viehwaggons, und sie fahren irgendwohin, wohin wissen sie nicht, warum wissen sie nicht, wie wissen garnichts. Das ist die Situation von vielen Menschen in Polen, Ukraine, Russland, Belarussland gewesen.

Der Kriegsplan der NSdAP sah von vornherein die Versklavung der Völker vor. Das brutalstmögliche Vorgehen gegen die sogenannten Untermenschen aus dem Osten war von langer and vorbereitet. Wer Hitlers "Mein Kampf" gelesen hatte, war längst darüber im Bilde. In einfühlsamer Weise und ohne belehren zu wollen sprachen die Gäste darüber, was aus ihren Augen wichtig war, was für die Schülerinnen und Schüler eben noch ertragbar war. Heute und damals vergleichend erzälte einer der Referentinnen:

Jan Olewczynski: Wir waren vertrieben wie das Vieh zu verschiedenen Stationen mit SS- Männern. Also die Waggons das waren nicht die Züge die man jetzt fährt in der ersten Klasse z.B.

Mit größtmöglicher Offenheit sprang gelegentlich Dieter Bossmann, der Initiator ein, wenn den fünf selbst das zu schildernde zu schwer erschien. Aber eben um zu zeigen, dass es sich hier nicht um ein Weihnachtskaffeekränzchen handelt, sondern um nicht wieder gut zu Machendes.

Dieter Bossmann: ... die nicht die Regel gewesen ist, aber die es auch gegeben hat. Frau Frankowska ist in einem dieser Viehwagen gewesen, der mitten auf der Strecke unterbrochen wurde, deutsche Soldaten haben den Befehl gegeben, alle jungen Mädchen mussten rausreten, dort mussten sie sich nackend ausziehen und die Soldaten haben mit dem Finger gezeigt, welches Mädchen mit ihnen zu kommen hatte - nackend natürlich. Von diesen Mädchen hat man nie wieder etwas gehört.

Alles war instrumentalisiert für das Kriegssystem. die Deutsche Reichsbahn, die Polizei, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Industrie, die Handwerkerschaft, die Bauernschaft, alles war angetreten mit dem einen Ziel, heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt.

Frage eines Schülers: Also haben Soldaten sie zu der Arbeit gezwungen, ich nehme an, dass Soldaten sie bewacht haben bei der Arbeit, oder haben auch die Bauern dazu beigetragen, dass sie hart arbeiten mussten.

Georg Gerchen: Das ist vielleicht eine Frage, die wir an die Landwirtschaft geben.

Katarzyny Frankowska: Ich war auf einem Bauernhof. es gab keine Soldaten dort. Wir mussten das tun, was der Bauer gesagt hat.

Die Bauern aus dem Mustergau Dithmarschen haben schnell und mit Begeisterung ihre Rolle gefunden. Schon vor 1933 hatte hier die NSdAP die Mehrheit. Wie die Schülerinnen und Schüler die Informationen einordnen, wird darüber Auschlag geben, ob es weitere Kriege geben wird oder nicht, ob wieder zivile Einrichtungen Wohlfahrtsverbände, Gesundheitsämter, Ärzte, Moderatoren sich hergeben werden für weitere Kriegstreibereien.

Frage einer Schülerin: Und da wo man arbeiten musste, wenn man da krank wurde, durfte man zum Arzt oder...

Leon Jaworski: Ich war krank und ich musste im Krankenhaus in Heide liegen, aber das war nicht in dem Krankenhaus so richtig sondern in den Baracken in der Nähe vom Krankenhaus.

Irena Frolowitz: Ich war sehr, sehr krank, Leberkrankheit und wurde nach drei Tagen nach Hause geschickt.

Antoni Korybski: Ich war einmal krank und als ich im Bett bleiben wollte, weil ich wirklich krank war, der Bauer ist zu mir gekommen, er hat geschrien, hat mich angeschrien, hat gesagt, dass ich aufstehen muss.

Einschüchterung, Verängstigung, Demütigung, Verrohung, Bestrafung durch Hunger, sadistische Misshandlungen, Folter und Tod - all das haben Dithmarscher Bauern oder Zivilisten im Namen des Volkes ihren Dienstbefohlenen angean. Das waren 14 - 17 jährige. Sie hatten keine freunde. Sie hatten kein Spielzeug. Sie hatten kein Zuhause, vater , Mutter, Geschwister.

Frage einer Schülerin: hatten sie die Möglichkeit zu anderen Zangsarbeitern irgendwelche Kontakte zu knüpfen oder Freundschaften aufzubauen?

Aus Prinzip wir konnten die Bekanntschaften knüpfen, aber das war eigentlich nicht möglich weil wir abgeschlossen waren in den Lagern, bei den Bauern, wir konnten nicht verreisen. Wir mussten vor Ort bleiben.

Wie gerne haben sie es geglaubt, wenn man ihnen erzählt hat, dass sie es bei uns doch so gut gehabt haben, und diejenigen, die die Warheit gesagt haben, wurden ignoriert. Der Mythos vom Dithmarscher Bauern, ebenso hohl wie die Lüge von Dithmarscher Bauern als Naturschützer oder Jäger als Tierfreund. Alle halbe Jahr hat die Zeitung jemand aus Polen gefunden, der ihnen sagen konnte, wie gut sie es gehabt haben. Doch das Gewissen schläft nicht, jezt ist die Zeit gekommen, wo die Opfer reden. "Am Tisch mit gegessen..." soll das der Gipfelpunkt der Menschlichkeit sein?