Hoffen auf die Demokratie

Zahid Quliyev verfolgt die politischen Proteste in seiner Heimat Aserbaidschan

Von Dieter Höfer aus der DLZ v. 13.11.2005

Heide – Jede einzelne Sequenz auf dem Videofilm kennt Zahid Quliyev schon auswendig. Doch wenn der Film läuft, ist der 44-Jährige trotzdem immer wieder erschrocken über die darauf zu sehende Brutalität, mit der Polizeikräfte gegen Demonstranten vorgehen. Einer der Menschen, die am Boden liegen und weiterhin geschlagen werden, ist Quliyev.

Der Film wurde 2001 in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan gedreht, aber nie im dortigen Staatsfernsehen gezeigt. über verschlungene Wege hat Zahid Quliyev das Video trotzdem bekommen.

Auch jetzt wird in der ölreichen Kaukasusrepublik Aserbaidschan demonstriert, und Quliyev erinnert sich bei den Fernsehbildern auf Euro-News an die Zeit, als er selbst für die Demokratie auf die Straße gegangen ist.

Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur haben alleine am Mittwoch zehntausende Oppositionsanhänger gegen Fälschungen der autoritären Staatsführung bei der jüngsten Parlamentswahl protestiert. Präsident Ilham Alijew ließ mehrere Hundertschaften Polizei aufmarschieren. Europäische Beobachter hatten nach der Wahl Manipulationen zu Gunsten der siegreichen Regierungspartei kritisiert.

„Wann kommt endlich die Demokratie in meinem Land?“, fragt Zahid Quliyev, der seit Mai mit seiner Familie in Heide lebt. 1961 wurde der Moslem im aserbaidschanischen Landesteil Berg-Karabach geboren. Nach Schule, Militärdienst in der Sowjetischen Armee – Aserbaidschan wurde erst 1991 unabhängig – Konservatorium und Universität machte Quliyev Karriere als Musiker. Auf weltweiten Konzertreisen stellte er aserbaidschanische Volksmusik vor. Sieben CDs entstanden im Laufe mehrerer Jahre. Und wenn der Musiker zur Daf, einer großen runden Trommel greift, dann wird auch ein Wohnzimmer in einem Heider Reihenhaus zu einem kleinen Stück Orient.

„Irgendwann begann ich zu verstehen, dass in Aserbaidschan etwas verkehrt läuft“, erinnert sich der Musiker. Um sich gegen Korruption, Misswirtschaft und Unterdrückung zu wehren, schloss er sich 1998 der Opposition an und wurde Mitglied der Aserbaidschanischen Demokratischen Partei ADP. Zwei Jahre später kandidierte der Polit-Neuling sogar für die Nationalversammlung. „Gewalt und Prügel“ der Staatsmacht waren die ständigen Begleiter auf dem Weg zur erhofften Demokratie.

Der auf Video festgehaltenen Demonstration 2001 folgten zwei Monate Haft. Einer erneuten Verhaftung 2003 entging Zahid Quliyev nur durch das Abtauchen in den Untergrund bis Februar dieses Jahres. Mit seiner Frau und drei Kindern stieg er am 12. Februar und nach Zahlung eines größeren Geldbetrages zur Flucht in einen Lastwagen. „Wir wussten nur, es geht irgendwo nach Europa“, erzählt Quliyev. Am 17. Februar öffnete sich die Luke des Lkw, und die Familie stieg in Oldenburg aus, wo der Aserbaidschaner einen Asylantrag stellte. „Ich war so froh, dass wir nach Deutschland gebracht wurden“, erinnert sich der Familienvater an den ersten Augenblick in Sicherheit. Er kannte die Bundesrepublik bereits von Konzertreisen. Nach einer Zwischenstation in Lübeck kam die Familie im Mai nach Dithmarschen.

In Deutschland angekommen, hat Zahid Quliyev eine politische Mission ins Auge gefasst: „Ich möchte die Politiker über die Zustände in meiner Heimat informieren.“ Seinen Traum von der Demokratie in Aserbaidschan hat Quliyev nicht aufgegeben – und denkt an das Ende des Regimes in der Ukraine vor einem Jahr. Auch in Baku waren in dieser Woche orangefarbene Fahnen zu sehen, wie 2004 in Kiew. Sollte sein Traum Wirklichkeit werden, „dann fahre ich sofort nach Hause“, sagt der drahtige Mann aus dem Kaukasus.

Bis das so weit ist, wird Zahid Quliyev immer wieder seine Daf zur Hand nehmen, alte Volksweisen singen, und sich von seinen Söhnen auf deren gitarrenähnlichen Tars begleiten lassen – und ein Stück Heimat nach Dithmarschen holen.

Aserbaidschan

Aserbaidschan liegt zwischen Russland und dem Iran am Kaspischen Meer. Es grenzt zudem an die Staaten Georgien und Armenien. Aserbaidschan war bis zu seiner Unabhängigkeit 1991 eine sowjetische Republik. 90 Prozent der Einwohner sind Moslems, der Rest gehört christlichen Minderheiten an.

In dem gut 86 000 Quadratkilometer großen Land (zum Vergleich: Deutschland knapp 360 000 Quadratkilometer) leben gut acht Millionen Einwohner, davon knapp zwei Millionen in der Hauptstadt Baku.