Für Kost und Logis

Auch ohne Dienstleistungsrichtlinie schuften

hunderttausende MigrantInnen unter härtesten Bedingungen in Deutschland.

von martin kröger

Im Fleisch verarbeitenden Gewerbe spielt sich seit der Ost-Erweiterung der EU ein Szenario ab, das nach Ansicht der Gewerkschaften und der rot-grünen Regierungskoalition in allen Dienstleistungsbereichen droht, wenn die ursprünglich geplante Dienstleistungsrichtlinie durchgesetzt wird. Die Fleischverarbeitung, bis vor der EU-Ost-Erweiterung eine Domäne für deutsche ArbeiterInnen, wird seit einem Jahr in immer größerem Maße von Menschen aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Rumänien erledigt.

»Wir gehen davon aus, dass wir bereits mehrere zehntausend Arbeitsplätze verloren haben«, sagt Bernd Meiweg von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Ostwestfalen-Lippe der Jungle World. In Ostwestfalen und dem angrenzenden Münsterland, dem »Fleischtopf der Nation«, ist ein Großteil der deutschen Fleischproduktion konzentriert. Bis zu zwei Drittel der Belegschaft wurden hier inzwischen ausgetauscht, weiß Meiweg. Möglich wird dies durch Werkverträge, die den Beitrittsländern ein Entsenderecht garantieren.

Deutsche UnternehmerInnen akquirieren ArbeiterInnen mithilfe von Vermittlungsfirmen, die oftmals nur auf dem Papier bestehen. Für die neuen Angestellten gelten dann die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Herkunftslandes, die am Arbeitsplatz nicht kontrolliert werden. »Vor Ort«, erzählt Meiweg, »werden die osteuropäischen Arbeitnehmer dann vor die Wahl gestellt: Entweder sie akzeptieren statt der versprochenen fünf Euro Lohn nur drei Euro, oder sie erhalten gar keinen Job.« Die Lohndifferenz, so versprechen ihnen die UnternehmerInnen, könne durch die Erhöhung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden ausgeglichen werden. Die ArbeiterInnen werden in Massenunterkünften direkt auf den Schlachthöfen untergebracht. Dies gilt für einfache Verpackungstätigkeiten, wie sie von Discountern wie Lidl und Aldi, die maßgeblich für den Lohndruck sorgen, benötigt werden. Aber selbst bei ausgebildeten Fleischern liegen die Löhne der osteuropäischen ArbeiterInnen 50 Prozent unter dem deutschen Lohnniveau, erläutert Meiweg.

Das sind Ausbeutungsbedingungen für Unternehmen, die inzwischen sogar dänische Großschlachtereien aufmerksam werden lassen und sie dazu veranlassen, ihre Produktion nach Deutschland zu verlagern. Nach europäischem Recht wären die Arbeitsverhältnisse allerdings nur legal, wenn die Vermittlerfirmen auch tatsächlich in Deutschland ansässig wären. Die Prüfung wird jedoch durch ein undurchschaubares Geflecht von Subunternehmen und Briefkastenfirmen erschwert.

Das Prinzip, Subunternehmen zu betrauen, ist im Baugewerbe schon lange alltäglich. Bis zu sieben Subunternehmen werden zwischengeschaltet, bis eine Firma tatsächlich die konkreten Arbeiten ausführt. Obwohl im Baugewerbe durch die Entsenderichtlinie sozialrechtliche Standards und Tariflöhne beim Austausch mit Osteuropa geregelt sind, werden diese Bestimmungen jedoch ständig unterlaufen. »Nur wenige seriöse Großunternehmen halten sich an die rechtlichen Bestimmungen und zahlen den Mindestlohn«, erzählt Frank Schmidt-Hullmann, Leiter des Ressorts Internationales bei der IG Bau. Der Rest nutzt die Nichtverfolgung in den Herkunftsländern, um die Arbeitszeit auf teilweise über 60 Stunden in der Woche zu erhöhen. Das »löst enorme Dumpingeffekte aus, in Branchen, die von einem Lohnkostenanteil von 40 bis 60 Prozent geprägt sind«, weiß Schmidt-Hullmann. Viele SubunternehmerInnen steigern ihren Gewinn noch dadurch, dass sie die MigrantInnen um ihren Lohn betrügen und die Situation von ArbeiterInnen ohne Papiere ausnutzen.

Während in diesen beiden Wirtschaftssegmenten derzeit massive Kontrollen und Razzien von den zuständigen Zollbehörden durchgeführt werden, was Gewerkschaften wie die IG Bau durch die Einrichtung von Telefonhotlines zur Denunziation unterstützen, bestehen in anderen Teilbereichen der Wirtschaft weniger Probleme mit angeworbenen Arbeitskräften aus Osteuropa.

»Die Landwirte in unserer Region verlassen sich seit Jahren auf ihre bewährten Kräfte aus Polen und anderen osteuropäischen Staaten«, berichtet Thomas Bohse, Pressesprecher der Arbeitsagentur Heide im schleswig-holsteinischen Dithmarschen. Im größten geschlossenen Kohlanbaugebiet Deutschlands arbeiten seit der Wende fast nur noch ErntehelferInnen aus Osteuropa. Für die Betreuung dieser ArbeiterInnen sind nach der Vereinbarung über SaisonarbeiterInnen die örtlichen Arbeitsagenturen zuständig und nicht die Gewerkschaften. Die Praxis, wie im Fleischgewerbe Arbeitstrupps über Werkverträge zu beschaffen, setzt sich in der Landwirtschaft jedoch nur schwer durch. »Die Landwirte hier in der Region vertrauen den Werkvertragspartnern nicht«, erklärt Bohse. Die ErntehelferInnen sind den Landwirten vollkommen ausgeliefert, die sie in der Nähe ihrer Höfe in Wohnwagenparks unterbringen und auch schon mal mit Spirituosen für die Knochenarbeit bezahlen.

Gar keine Rolle in der Debatte über Dienstleistungen scheint die desolate Situation von HausarbeiterInnen zu spielen. Auch in diesem Wirtschaftsbereich scheinen die billigen Arbeitskräfte mehr als erwünscht zu sein, und zwar nicht nur im privaten Bereich, sondern immer mehr auch im Touristik- und Gastronomiegewerbe. »Viele Hausarbeiterinnen arbeiten ohne Arbeitsverträge, werden häufig um ihren Lohn betrogen, ihre Arbeitszeiten werden nicht eingehalten, die Arbeitsbereiche werden ständig erweitert, und nicht selten sind die Arbeitnehmerinnen Gewalt und Missbrauch ausgesetzt«, fasst eine Vertreterin von Respect, einem Netzwerk zur Unterstützung von MigrantInnen, die in privaten Haushalten arbeiten, die Situation zusammen.

Während also in den produzierenden Gewerben Standortchauvinismus von so manchen GewerkschafterInnen betrieben wird, scheinen dieselben miserablen Bedingungen in Bereichen wie der Hauswirtschaft, der Landwirtschaft oder dem Schaustellergewerbe durchaus gewünscht zu sein.

Eine andere Branche, in der ebenfalls fast nur noch MigrantInnen arbeiten, macht allerdings vor, dass es auch anders gehen könnte. Zu Beginn des Jahres gelang es den europäischen HafenarbeiterInnen, eine EU-Richtlinie durch gemeinsame europaweite Streik- und Protestaktionen zu kippen, nach der Seeleute in Zukunft auch für das Ausladen der Schiffe hätten zuständig sein sollen. Bereits vor Jahren hat die Internationale Transportarbeiterföderation, die für die Seeleute und HafenarbeiterInnen zuständig ist, einen weltweit geltenden Tarifvertrag für alle Seeleute festgelegt, der notfalls mit Schiffsstillegungen durch die GewerkschafterInnen überall durchgesetzt wird – völlig unabhängig von der nationalen Herkunft.
http://jungle-world.com/seiten/2005/13/5179.php vom 30.03.2005