Zur raschen Erledigung der russischen Kriegsmaschinerie kommt der deutsche Generalstab auf die Idee, den sozialistischen Revolutionär Lenin aus der Schweiz nach Russland zu befördern. In einem Zug mit plombierten Wagen durchquert der Angehörige eines Feindvolkes mit seinen Begleitern das deutsche Staatsgebiet und gelangt über Finnland in seine Heimat RussÐland. Hier bricht am 7. November 1917 die Oktober-Revolution aus. ("Oktober-Revolution" deshalb, weil nach dem russisch- orthodoxen Kalender die Revolution 13 Tage früher, also im Oktober, ausbrach.) Die bolschewistische Führung ruft die russische Räterepublik aus. Die alleinherrschende Staatspartei wird die KPdSU, die Kommunistische Partei der Sowjet-(d.h.Räte-) Union.
Die neue russische Regierung weiß die deutsche "Transporthilfe" für ihren führenden Kopf und die recht umfangreichen finanziellen Hilfen aus dem imperialistischen Deutschland zu honorieren, indem sie am 15. Dezember 1917 einen Waffenstillstand schließt. Nach einem erneuten deutschen Vormarsch an der Ostfront wird am 3. März 1918 der Frieden von Brest-Litowsk geschlossen. Die Tatsache, dass hier im Osten Europas ein gewaltiger sozialistischer Staat, noch zwar unvollkommen und vom Bürgerkrieg gequält, entstanden ist, gibt der Idee des Sozialismus einen gewaltigen Aufschwung.
Diese Entwicklungen der letzten Zeit auf der politischen Bühne in Russland und in Deutschland lassen Christian Heuck nachdenklich werden. Sollte seine Sympathie zur sozialistischen Partei vor dem Krieg richtig gewesen sein? Sollte im Sozialismus die Befreiung für seine Arbeiterkameraden vom Joch des Kapitalismus liegen? Die Erlösung der untersten Klasse von unzureichenden Löhnen, aus der herrschenden starken Hand des Arbeitgebers, von der UnsiÐcherheit des Arbeitsplatzes, aus Not und Elend im Winter, vom Bildungsnotstand für die Arbeiterkinder, denen ohne Protektion, die selten war, nur der Weg ins Sklavendasein der Eltern offen bleibt. Lag die Rettung im Sozialismus? Der Feldwebel Christian Heuck macht wieder bei den Diskussionen seiner Kameraden in den verschlissenen feldgrauen Uniformen mit.
November 1918. Von allen Fronten strömt die geschlagene, verbrauchte und verhungerte deutsche Armee in die Heimat zurück. Der Krieg ist verloren. Die Waffenstillstandsverhandlungen lässt das Oberkommando des Heeres durch Prinz Max von Baden führen, die FeldherÐren sind zu feige in Verhandlungen ihre Niederlage einzugestehen. Mit den zurückkehrenden Truppen trifft auch Christian Heuck in der Heider Kaserne ein. Er schließt sich umgehend dem Soldatenrat an und nimmt an mancher Auseinandersetzung mit der Polizei Teil. Nach BeenÐdigung der Zeit der Soldaten- und Arbeiterräte tritt er in die SPD ein und gründet in WesÐselburen eine Ortsgruppe der Partei. "Krüschan" hat seinen politischen Weg gefunden, so glaubt er. Zum Broterwerb wird er Viehhändler. Als guter Rechner kann er mit Geld umgehen, außerdem schult Heuck in diesem Beruf seine rhetorischen Fähigkeiten. Itzehoer Arbeiter- und Soldatenrat. Im Jahre 1919 haben sich die Grundsätze des reformistischen RevisiÐonismus des Theoretikers Bernstein in der SPD durchgesetzt. In dieser Denkrichtung behauptet Bernstein, dass die Voraussagen von Karl Marx über die zuÐnehmende Verelendung des Proletariats nicht eingetroffen sind. Er sieht nur Möglichkeiten in der Verbesserung der bestehenden Gesellschaftsordnung, also Sozialreformen.
Diese Entwicklung in der Partei zwingt Heuck zum Nachdenken. Hat er nicht
selbst die Verelendung der arbeitenden Massen, besonders auf dem platten Land,
miterlebt? Weiß er nicht aus eigener Anschauung um das erbärmliche
Leben der Wanderarbeiter, der "Monarchen" und der Tagelöhner? Die
Zustände bei den Arbeitern in der Stadt kennt er aus den ErzählunÐgen
seiner Kriegskameraden. Er hat aber auch die großen Höfe der Marsch
gesehen, kennt die reich ausgestatteten "guten Stuben" der Bauern. Wie kommt
die Parteiführung der SPD auf den abstrusen Gedanken, dass diese
freiwillig abgeben werden, damit es jenen besser geht?
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