Gerhard Kratzat wurde 1909 in Burg geboren. Sein Vater war der Postschaffner i.R. Fritz Kratzat, Am Cleve 5. (Stadtarchiv Meldorf, Adreßbuch Süderdithmarschen 1938) Er besuchte die Volksschule und deren gehobene Abteilung, lernte dann bei der Burger Sparkasse und ergriff, als er nach beendeter Lehrzeit keine Stellung bekommen konnte, den Seemannsberuf. Zwischenzeitlich soll er auch mal mit Spitzen und Bändern gehandelt haben. Danach soll er auf größeren Schiffen von Brunsbüttelkoog aus gefahren sein.
In Burg wurde er "der gelehrte Seemann" genannt. Während der Zeit erlernte er 10 Sprachen, die er perfekt beherrschte.... Im Frühjahr 1933 war er an dem Seemannsstreik in den Ostseehäfen beteiligt und wurde verhaftet. Soweit hier bekannt, wurde er nach seiner Rückkehr verhaftet und soll sich in Berlin in Untersuchungshaft befunden haben, worüber hier jedoch keine Aufzeichnungen vorliegen. Auch sind hier keine Strafen notiert. Nach seiner Haftentlassung war er hier längere Zeit bei seinen Eltern aufhältlich. Unterm 11.7.33 wurde von dort die Postkontrolle über seine Briefschaften verhängt, die laut dortiger Verfügung vom 5.4.34 wieder aufgehoben wurde. Soweit hier bekannt, ist Kr. nach 34 nicht wieder in Burg gewesen. Er ist ein intelligenter Mensch und huldigte s. Zt. kommunistischen Anschauungen, die er inzwischen kaum geändert haben dürfte."(Inge Hurtienne; aus den Akten der Ortspolizeibehörde Burg 1934-1944 über Personen, die sich nicht gleichschalten ließen. Teil 3, in: Dithmarschen, Heft 2/1990, Heide 1990)
"Er war befreundet mit dem Führer der kommunistischen Partei in Danzig. Als das Schiff, auf dem er fuhr, Mitte der dreißiger Jahre nach Danzig kam, musterte er ab und besuchte seinen Freund. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde er von Danzig, das damals noch Freistaat war, nach Ostpreußen, also auf deutsches Reichsgebiet, verschleppt und anschließend in ein Konzentrationslager gebracht. Man wollte Näheres über seinen Freund, den Danziger Kommunistenführer, erfahren. Johannes Gerhard Kratzat kam dieser Aufforderung nicht nach; auch nicht, als er aus dem KZ entlassen wurde und man ihm für diese Informarion eine gut bezahlte Stellung anbot. Statt dessen setzte er sich ins Ausland ab. Erst ging er nach Holland, von dort nach Belgien und dann nach Frankreich. Im Sommer 1944 wurde er in Lyon von den Deutschen verhaftet und von einem deutschen Feldgericht zum Tode verurteilt. Am 12.Juli 1944 wurde er erschossen. Man ließ den Toten unbestattet liegen. Später wurden seine sterblichen Überreste beigesetzt, so daß sein Bruder, Martin Kratzat, das Grab 1968 besuchen konnte."(diesem Bericht liegen die Angaben des Bruders, Martin Kratzat, Meldorf, zugrunde)
Zuzug am 20.7.1933 von Danzig vermerkt.(Amt Burg Januar 1960)
In den dortigen Interclubs wurden deutsche Seeleute mit illegalen Schriften versorgt und nach den Vorgängen im Deutschen Reich und auf den Schiffen befragt. Schon 1933 hatte die ISH in ihren Interclubs in den nord- und westeuropäischen Häfen Agitationsgruppen aus deutschen Seeleuten aufgebaut. Auch in Rotterdam hatte die ISH im Frühjahr 1933 eine Gruppe für die Schiffsagitation aufgebaut. Zu ihr gehörten Hermann Knüfken, Wilhelm Sievert ("Valentin") und Josef Hölzer aus Hamburg, außerdem Georg Makurat, Gerhard Kratzat und Willi Nielebock...(Anm. 1386 Erinnerungsbericht Makurat, BA-SAPMO/ZPA - EA 55) Auch die Rotterdamer ISH-Gruppe löste sich 1936 auf. Kratzat und Sievert gingen nach Antwerpen. Andere...wie z.B. Pilz, .... bildeten zusammen mit Kratzat und anderen die Gruppe der "100%igen", die die alte KPD-Linie vertrat und die ITF-Gruppe heftig befehdete,... . Über regelmäßig wöchentlich verkehrende Schiffe bestand 1935 eine Verbindung nach Hamburg, Bremen, Kiel, Lübeck, Rostock und anderen Seehäfen, ebenso nach zahlreichen Rheinhäfen.
Immerhin 41 Personen, die aus Schleswig-Holstein kamen bzw. mit dieser Region in einer intensiven Wechselwirkung standen oder nach 1945 hierhin zurückkehrten, sind in dem diesem Beitrag zugrundeliegenden IZRG-Forschungsprojekt zur Geschichte der politischen Emigration und Remigration als Teilnehmer des Spanischen Bürgerkriegs identifiziert worden. Von 1937 bis 1939 hatte Gerhard Kratzat im spanischen Bürgerkrieg leitende Funktionen in der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der Gruppe "Seeschiffahrt" der KPD inne. U.a. war er bei der Zurückführung der Angehörigen des englischsprachigen Lincoln-Batallions wesentlich beteiligt.
Er war bereits Monate zuvor den Deutschen in die Hände gefallen und hatte zunächst seine Identität verbergen können. Im Sommer 1944 wurde er in Lyon von den Deutschen verhaftet und von einem deutschen Feldgericht zum Tode verurteilt und am 12. Juli 1944 in Lyon hingerichtet. (Pusch Akens 33/34)
Soll ich Dir von meiner Verhaftung erzählen ? Ich wurde durch die französische Miliz festgenommen und riskierte, bis ans Kriegsende interniert zu werden. Die Milizionäre, die dauernd das Wort "les boches" im Munde führten, ohne zu ahnen, daß sie einen Deutschen verhaftet hatten, gingen mir auf die Nerven, und ich warf ihnen in die Zähne: Eh bien, je suis un allemand".-
Konsternation, Auslieferung, Untersuchungshaft, Kriegsgericht. In meiner Sorglosigkeit glaubte ich an Internierung oder Arbeitsdienst. Der Prozess wurde jedoch mit solcher Geschwindigkeit geführt, daß z.B. die Tatsache, daß ich mich selber zurückgemeldet hatte, nicht zur Sprache kam. Ich selber half mit schönster Freimütigkeit einen Tatbestand zu konstruieren, der ein Todesurteil rechtfertigte. Ich habe eben immer noch nicht gelernt, Mißtrauen zu hegen, und es ist sicher zeitgemäß, durch eine vernünftige Auslese die Erde von einem solchen Phantasten zu säubern.
Ich habe während der letzten zwei Jahre als Bildhauer gearbeitet, meine Skulpturen sind jedoch ein wenig zerstreut, und ich weiß nicht, ob man viel davon zusammenbringen kann. Wir glaubten eine Begabung für die Malerei zu haben, doch ich machte die Erfahrung, daß die Skulptur mir besser liegt. Ich habe mich recht gründlich mit R i v e r s , F r a n z i n , M o r g a n , B a c h o f e n und Lipp B r u h l befasst und habe mich dann mit den P a r l o w s c h e n* Experimenten vertraut gemacht. (Aus dem Abschiedsbrief vom 6.7.1944) *Pawlow, Mediziner; Klassische Konditionierung- Anm. von Gerd
Der Pastor Friedrich Wilhelm Kratzat, der Bruder des Hingerichteten, war bis zur Hinrichtung im OKH dienstverpflichtet. Er war sehr schwer gehörleidend und nach der vorhergehenden Musterung völlig kriegsuntauglich. Er wurde nach der Meldung der Hinrichtung seines Bruders umgehend eingezogen und ist am ersten Fronttage gefallen. Dies war eine willkürliche Maßnahme der damaligen Machthaber gegen einen Familienangehörigen.
Wenn auch das Kriegsgerichtsurteil auf Feindbegünstigung und Spionage lautet, so muss in diesem Fall unterstellt werden, dass der Widerstand gegen den Naz.soz.Staat ausschließlich aus polit. Motiven geschah. Der Leiter der KPD Schleswig- Holstein bestätigte, dass der Verstorbene zur Widerstandsgruppe Udo Fimmen* gehörte, die als aktivste Gruppe der intern. Transportarbeiter- Gewerkschaften gewirkt hat. (Prüfungsbericht des Innenministers 1950) *Edo Fimmen
Beurteilung: Und wenn z.B. Gerhard Kratzat (alias "Jan") - eine der faszinierendsten Persönlichkeiten (und eine der vergessensten), die in diesen Recherchen eine Rolle spielen - bald zehn Jahre mit mehreren falschen Identitäten gelebt hat, was verändert sich dadurch in der Psyche dieses Menschen - welche Identität nimmt er an? Und die Freunde kamen und fragten... Warum gab Kratzat nach zehn Jahren Illegalität in der Emigration, wenige Wochen vor der Befreiung seiner Operationsbasis im Umland von Paris, seine wahre Identität den Häschern bekannt? Das war geradezu selbstmörderisch... (Pusch Akens 33/34)
Fortsetzung -->