Johannes Gerhard Kratzat wurde am 8. Januar 1909 in Burg/Dithmarschen geboren. Er war das dritte Kind des Oberpostschaffners Friedrich und seiner Frau Elisabeth Kratzat. Die Familie lebte in Burg, Am Cleve 5 (heute: Gartenstraße 9).
Nach dem Besuch der gehobenen Abteilung der Volksschule bis 1923, erlernte er den Beruf des Bankkaufmanns bei der Burger Leih- und Sparkasse. Da er dort nicht weiter beschäftigt und somit arbeitslos wurde, fuhr er ab 1927 als Matrose zur See, anfangs auf kleineren Schiffen von Burg, später auch größere Fahrten von Brunsbüttelkoog aus. Während seiner Fahrten lernte er viele Sprachen so gründlich, daß er später auch als Dolmetscher und Korrespondent tätig war. Da er vielseitig interessiert war, wurde er in Burg "der gelehrte Seemann" genannt.(1)
Im Herbst 1931 beteiligte er sich an den großen Seefahrerstreiks in der Ostsee, die von der ISH („International of Seemen and Harbourworkers“) organisiert wurden. 1932 musterte er dann in Danzig ab, trat der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und trat für diese als Diskussionsredner auf, sowohl auf eigenen Veranstaltungen, als auch auf denen der Nationalsozialisten. Bei diesen war er schnell verhasst, da es ihm mindestens einmal gelang, deren Propagandaerfolg zu verhindern.
An dieser Stelle sollen in einem kleinen Exkurs einige wichtige Protagonisten dieser internationalen Transportarbeiterorganisationen vorgestellt werden.
Vorsitzender der ITF war von 1923 bis zu seinem Tode 1942 Edo Fimmen, der eine der wichtigsten Personen des internationalen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus war. Fimmen wurde 1881 in den Niederlanden geboren und war im 1. Weltkrieg einer der entschiedensten Befürworter des Generalstreikes gegen den Krieg. Die Revolution in der Sowjetunion unterstützte er ebenso leidenschaftlich wie er später den Stalinismus bekämpfte. Seit 1930 begann er mit dem Aufbau einer illegalen Organisation gegen den Faschismus in Deutschland. Diese unterstützte deutsche Emigranten, sorgte für den Transport illegaler Schriften in das Deutsche Reich und führte in Zusammenarbeit mit (westlichen) alliierten Geheimdiensten Sabotageaktionen durch.
Fimmens Gegenspieler in dieser Zeit war Erich Wollweber, der 1932 Reichsleiter des „Einheitsverbands der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer“ (der deutschen Sektion der ISH) und Mitglied des Sekretariats der ISH wurde. Wollweber, 1898 in Hannoversch Münden geboren, wurde 1919 KPD-Mitglied und 1923 in der UdSSR an der „1. Militärschule“ ausgebildet. Seit dieser Zeit arbeitete er neben seinen politischen Aufgaben als Agent für verschiedene sowjetische Geheimdienste.
Ab 1936 baute er die „Wollweber-Organisation“ auf, die in großem Umfange Militärsabotage betrieb. Er wurde 1940 in Schweden verhaftet und konnte nach Verbüßung seiner Haftstrafe in die Sowjetunion ausreisen. 1947 wurde er in der DDR Leiter der „Generaldirektion Schiffahrt“. Im Westen wurde seinerzeit vermutet, dass er in dieser Funktion seine Organisation wieder aufbaute. Nach den Geschehnissen am 17. Juni 1953 wurde Wollweber Staatssekretär, später Minister für Staatssicherheit der DDR. 1957 musste er zurücktreten und erhielt eine strenge Parteirüge. Sein Nachfolger wurde Erich Mielke. Wollweber starb 1967 in Berlin.
Ein enger Mitarbeiter und später entschiedener Gegner Wollwebers war Richard Krebs, der 1905 bei Mainz geboren wurde. Krebs trat der KPD 1923 bei und wurde ab 1925 in Leningrad an einer Militärakademie zum Agenten ausgebildet. Ab 1932 war er Propagandaleiter des Hamburger Interclubs, bevor er 1933 das ISH-Büro zusammen mit Wollweber nach Kopenhagen brachte. Im Herbst 1933 erhielt er von Wollweber den Auftrag, in Hamburg den Einheitsverband wieder aufzubauen. Er wurde verhaftet und 1934 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Ab 1937 arbeitete er als Doppelagent für die Gestapo und die Sowjetunion. Als er nach Moskau gerufen wurde, und sein Doppelspiel vor der Gestapo nicht mehr aufrecht zuerhalten war, gelang ihm mit Hilfe Fimmens und der ITF die Flucht in die USA. Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem Roman „Out of the Night“, der 1940 unter dem Pseudonym Jan Valtin in den USA erschien, 1943 wurde Krebs US-Soldat, 1947 amerikanischer Staatsbürger. Eine Reise durch Deutschland im Jahre 1950 brach Krebs vorzeitig ab, da er fand, dass viele reuelose alte Nazis ungehindert ihre Karrieren im neuen Staat fortsetzen konnten. 1951 starb er in den USA.
Albert Walter war seit der Gründung der ISH ihr Generalsekretär, also zweiter Mann. Walter wurde 1885 in der Neumark geboren und wurde früh Seemann und SPD-Mitglied. Nach dem 1. Weltkrieg, in dem er in den USA interniert war, wurde er 1919 USPD- und 1921 KPD-Mitglied. Ab 1922 war er verantwortlich für den Aufbau der internationalen Hafenbüros, aus denen die Interclubs entstanden. Sein ISH-Büro befand sich im Hamburger Interclub in der Rothesoodstraße. Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde Walter verhaftet und kam in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel in Hamburg. Ab 1937 arbeitete er mit der Gestapo zusammen und beriet sie in Marineangelegenheiten. 1940 verfasste er eine Propagandabroschüre, in der er England die Schuld am Ausbruch des Krieges gab und Adolf Hitler als Führer der deutschen Arbeiter bezeichnete. Walter bestritt später seine Zusammenarbeit mit der Gestapo. Er hätte in den Verhören lediglich seine Meinungen zum Kampf gegen den Kommunismus vertreten. Er setzte durch, dass die ihn betreffenden Passagen in „Out of the Night“ in der deutschen Ausgabe (1957 unter dem Titel „Tagebuch der Hölle“) zensiert wurden. 1948 wurde er Mitglied der national-konservativen „Deutschen Partei“, die er von 1949 bis 1957 im Bundestag vertrat. Walter starb 1980 in Hamburg. (3)
1932 musterte Johannes Gerhard Kratzat dann in Danzig ab, trat der KPD bei und arbeitete für diese als Diskussionsredner, sowohl auf eigenen Veranstaltungen, als auch auf denen der Nationalsozialisten. Bei diesen war er schnell verhasst, da es ihm mindestens einmal gelang, deren Propagandaerfolg zu verhindern.
Im März 1933 wurde er - vermutlich bei einer Rückkehr in das Deutsche Reich- verhaftet und bis Juli 1933 unter anderem im „staatlichen Konzentrationslager“ Sonnenburg bei Küstrin gefangen gehalten. (2) Sonnenburg stand unter der Aufsicht des Berliner Polizeipräsidiums. „Unter den Gefangenen waren viele bekannte Politiker, linke Parteifunktionäre und Kulturschaffende.“ Die Quellenlage zu diesem frühen Konzentrationslager ist dürftig. „Alle zeitgenössischen Berichte... betonen übereinstimmend die auch im Vergleich zu anderen zeitgleich bestehenden Konzentrationslagern außergewöhnliche Brutalität und Willkür der Wachmannschaften in Sonnenburg, die dem Lager schnell auch im Ausland den Beinamen 'Folterhölle' eintrug.“ (3) Auch Kratzat wurde schwer misshandelt. So konnte er wochenlang nur flüssige Nahrung aufnehmen, weil sein Unterkiefer durch brutale Schläge ausgehakt worden war. Erst als er schon vollkommen entkräftet war, wurde die Sache ärztlicherseits behoben. (4)
Nach seiner Haftentlassung kehrte er nach Burg zu seinen Eltern und Geschwistern zurück. Am 20. Juli 1933 meldete er sich polizeilich als von Danzig kommend an. Vermutlich ist er schon einige Tage eher angekommen, da ab dem 11.7.1933 auf Anordnung aus Berlin die Postkontrolle seiner Briefschaften angeordnet wurde. (5)
„Genau erinnerlich ist mir, daß man ernstlich versucht hat, ihn zur Mitarbeit in der NSDAP zu bewegen. So unwahrscheinlich es sich anhört, den Tatsachen entspricht es, daß man ihm dort einen Posten in der Partei angeboten hat, der ein monatliches Gehalt von 1.000,-- DM einbrachte. Um keinen Argwohn zu erwecken, hat er sich damals eine langfristige Bedenkzeit erbeten, die ihm gewährt wurde. In dieser Zeit hat er versucht, sich unauffällig aus Deutschland zu entfernen. Das tat er in der Weise, daß er sich zunächst um eine Gelegenheit auf eine Einstellung als Matrose auf einem Schiff bewarb, das ins Ausland fuhr. Weil es damals keine Arbeitslosen gab, wurde er einige Monate als Gelegenheitsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt. Nachdem er eine Matrosenstelle auf einem Schiff angeboten erhielt, ist er dann nur noch wenige Male kurzfristig nach Burg gekommen.“ (6)
In dieser Zeit von ungefähr 1933 bis 1936 fand Gerhard Kratzat wieder den Anschluss an die Genossen von der KPD und der ISH. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurden die Organisationsstrukturen der deutschen Sektion der ISH, des „Einheitsverbandes der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer“ mit einer großen Verhaftungswelle fast vollständig zerschlagen. Ab dem Herbst 1933 gab es Versuche der Reorganisation. Wichtige Zentren der illegalen Arbeit der ISH waren dabei Antwerpen und Rotterdam, wo in den sogenannten „Interclubs“ Kontakte zu Seeleuten aus dem Deutschen Reich geknüpft wurden. Die Mitglieder der ISH-zellen belieferten Seeleute auf deutschen Schiffen mit illegalen Schriften, befragten sie über Vorgänge im Reich und auf den Schiffen, instruierten die Vertrauensleute an Bord und versuchten, neue zu gewinnen. Gerhard Kratzat schloss sich der ISH-Zelle in Rotterdam an. Selbst enge Genossen kannten ihn nur unter seinem Tarnnamen „Jan“, was die Vermutung nahe legt, daß er schon damals wichtige Funktionen in der illegalen Arbeit innehatte. (7) Fortsetzung -->
(1) Inge Hurtienne, Aus den Akten der Ortspolizeibehörde Burg 1934-1944 über Personen, die sich nicht gleichschalten ließen. Teil 3, in: Dithmarschen, Heft 2/1990, Heide 1990
(2) Feldurteil gegen Johannes Gerhard Kratzat, Bundesarchiv Freiburg, Feldkommandantur 590 Nr. 6, Entschädigungsverfahren, LAS Abt. 761 Nr. 12584, u.a. Blatt 3
(3) Kaspar Nürnberg, Außenstelle des Berliner Polizeipräsidiums: Das „staatliche Konzentrationslager“ Sonnenburg bei Küstrin, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933 – 1939 (=Geschichte der Konzentrationslager 1933 – 1945 Band 2), Berlin 2002, S. 86 + 88f. und Anmerkungen, vgl. auch : Peter Gerlinghoff / Erich Schulz (Bearb.), Bausteine zu einer Liste der Sonnenburger Häftlinge in der Zeit vom 4. April 1933 bis 23. April 1934 (=Sonnenburg – Slonsk: Materialien, Bd. 3), Berlin 1991
(4) Aussage Ilse Giesselmann, Entschädigungsverfahren, LAS Abt. 761 Nr. 12584, Blatt 42
(5) Hurtienne, a.a.O.
(6) Schreiben von Martin Kratzat an den Bund der Verfolgten des Naziregimes BVN, Entschädigungsverfahren, LAS Abt. 761 Nr. 12584, Blatt 68
(7) Ludwig Eiber, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939. Werftarbeiter, Hafenarbeiter und Seeleute: Konformität, Opposition, Widerstand, Frankfurt/Main 2000; Dieter Nelles, Widerstand und internationale Solidarität. Die internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Essen 2001; Bundesarchiv Berlin, SAPMO Sgy30/0055 Makurat, Georg, Blatt 1-3