Ohne Erinnerung wird es keinen Frieden geben:Wie eine Kleinstadt gleichzeitig die NS- Zeit verschweigt und trotzdem als Kulturgemeinde gillt.
Johann Wilhelm Jasper wurde am 28.1.1898 am Meldorfer Sandberg Nr. 22 geboren. Er war das achte Kind, von seinen sieben Geschwistern lebten bei seiner Geburt nur noch vier, drei von Ihnen waren sehr viel älter als er.
Der Sandberg war in dieser Zeit das Viertel der Armen in Meldorf und wahrscheinlich besuchte Johann Wilhelm Jasper wie die meisten jungen Sandberger damals die Armenschule.
1916 wurde er im Alter von 18 Jahren eingezogen und nahm als Minensucher am 1. Weltkrieg in der Marine teil.
Nach 1918 fuhr er als Matrose zur See. Später arbeitete er als Schauermann im Hamburger Hafen und lebte in der Neustädter Straße im Hamburger Gängeviertel. In diesem Viertel war die KPD die dominierende politische Kraft.
Wie der überwiegende Teil seiner Kollegen wurde Willy Jasper Mitglied der KPD und der "Roten Marine". Er übernahm eine Funktion als Organisationsleiter.
Die "Rote Marine" zeichnete sich durch eine besondere Militanz aus. Sie rekrutierte sich vor allem aus Seeleuten, Hafen- und Werftarbeitern. Es waren handfeste Männer, die es gewohnt waren, kräftig zuzugreifen und, wenn es notwendig schien, auch zuzuschlagen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 organisierte die "Rote Marine" bewaffneten Widerstand gegen die Hitler-Regierung.
Am 21. Februar 1933 eröffneten Einheiten der Roten Marine das Feuer auf das Adler - Hotel, einem SA-Stützpunkt am Herrengraben. Bei dem Feuergefecht wurden zwei unbeteiligte Personen getötet, ein weiterer Passant und ein SA-Mann verletzt.
Von den insgesamt 45 Angeklagten vor dem Hanseatischen Sondergericht hat Jasper als Einziger die Taten bestritten und die Aussage verweigert. Das Verfahren gegen ihn wurde erst später eröffnet. Vier der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und am 19.5.1934 hingerichtet.
Mit den Worten Roland Freislers fungierte das Hanseatische Sondergericht als "Panzertruppe der Rechtspflege" und somit tatsächlich als "nationalsozialistisches Revolutionstribunal." (Frank Bajohr).
Am 26. Februar wurde eine Reihe von Überfällen auf SA-Angehörige und SA-Lokale durchgeführt, aber der geplante Überfall auf den SA-Umzug fand nicht statt. Willy Jasper wurde bei dieser Aktion in einem Schusswechsel mit der Polizei verletzt und verhaftet.
Was nach Willy Jaspers Verhaftung folgte, erzählte er seiner Frau Christine in der letzten Nacht in der Zelle: "Schläge auf der Z.B.V. Finger und Armumdrehen und Fusstritte in Langenhorn... Sie haben mich so mit de Stiefel auf der Z.B.V. geschlagen. Einmal hatte 5 Löcher in Kopf, Ich habe keinen verraten."
Nach seiner Verhaftung wird er dem Kommando zur besonderen Verwendung (K.z.b.V.) der Hamburger Staatspolizei übergeben. Dort waren "Prügel und Folter an der Tagesordnung, um Aussagen und Geständnisse zu erpressen." 1934 wird das KzbV aufgelöst wegen dessen "primitiv rücksichtslosen Methoden", so die Begründung der Hamburger Gestapo.
Willy Jasper bleibt zehn Monate in Haft. Anschließend wird er in die Staatskrankenanstalt Langenhorn eingewiesen.
Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht verurteilte ihn am 25. September 1934 wegen "Mordversuches und schweren Landfriedensbruches" zum Tode. Er selber hat die Taten abgestritten.
Am Abend des 28. September wurde ihm mitgeteilt, daß die Hinrichtung am nächsten Morgen stattfinden würden. Entgegen der allgemein üblichen Praxis durfte ihn seine Frau Christine in der Nacht vor der Hinrichtung besuchen. Da Willy nicht mehr sprechen konnte, sprach Christine und Willy antwortete schriftlich auf kleinen Zetteln. Diese Aufzeichnungen aus der letzten Nacht wurden von der Gestapo anschließend abgetippt, auf Gerichtsverwertbares durchgesehen und dann der Psychiatrie Langenhorn zur Verfügung gestellt. Eine Veröffentlichung wurde allerdings verboten.
Am frühen Morgen des 29. September 1934 wurde Jasper zur Hinrichtungsstätte im Hofe des Untersuchungsgefängnisses geführt. Die Glocken läuteten. Das Urteil wurde durch das Handbeil vollstreckt.
Die vollzogene Hinrichtung wurde öffentlich bekanntgemacht. Sein Leichnam wurde dem anatomischen Institut der nächstgelegenen Universität für Forschungszwecke überlassen.
In einer Ehrentafel der KPD von 1936 oder 1937 ist Johann Wilhelm Jaspers Name aufgeführt. Ansonsten ist sein Widerstand und der der "Roten Marine" weder dokumentiert noch anerkannt worden - auch nicht von der KPD, die den bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus ablehnte.
Johann Wilhelm Jasper fühlte sich bis zu seinem Tode Meldorf verbunden, er grüßt in seinem Abschiedsbrief nicht nur seine Familie, sondern auch die politischen Freunde aus der Meldorfer KPD und SPD.
Mein lieber Bruder,
[Pullout: Johann Wilhelm Jasper]Habe heute um 6 Uhr Abends die freudige Nachricht bekommen, daß ich morgen früh um 6 Uhr hingerichtet werde, mein lieber Bruder Du darfs nicht traurig sein, denn das ist Schicksal eines Menschen.
Du darfs nicht schlecht von mir denken. Ich war ein treuer Soldat der Revolution, habe die Richtlinien meiner Partei und der Roten Marine treu durchgeführt, ich war Orgleiter der Roten-Marine, bin wegen 4 Bomben und Terroracktionen vom Sondergerich Hbg im Namen den Volkes zu 40 Jahren Zuchthaus und zum Tode verurteilt.
Ich bin 20 Monate in Haft davon 10 Monate in der Irrenanstalt. Habe ein Matyrium hinter mich, bin seelisch und körperlich kaputt und freue mich, dass ich meine Ruhe habe. meine liebe Christel ist die Nacht bei mir, Sie hat treu zu mir gehalten. Und hoffe, daß Sie noch gute Jahre verleben wird. Sie hat es verdient...
Vieleicht mein lieber Emil, schämt Euch vür mich, aber Ihr braucht das nicht. Von meinen Hamb. Genossen werde ich treu geehrt. Ich habe keinen verrat getan ein Dutzend haben mich verraten, alles auf Willy Jasper geschoben, aber das macht nichts, einer soll ja man die Schuld haben, ich kann leider nicht mehr sprechen, die ich durch mein matyrium verloren habe, ein Rußisches Sovjet- Schiff wird stolz meinen Namen tragen. Es sind soviele für die grosse Idee Karl Marx gestorben, ich werde zur rechten Seite von Karl Liebknecht sitzen. Habe schweigend gekämpft, schweigend gelitten und werde schweigend sterben.
Nun mein lieber Bruder Emil, und Grete nun will ich schließen. In der Hoffnung, daß Ihr noch gute Jahre verleben werdet. Nun seid vielmals gegrüßt von euren und Deinen treuen Bruder. gez. Wilhelm.
Organisationsleiter der Roten - Marine.
Schönen Gruß an Grete, Bruder Karl, Heinrich, Hans und Elise, Elfriede, Anny Timm, Heinrich Timm und Frieda, Anny und Otto, Herrmann Wittorf, Heinrich Neumann, Willy Ramke, Gustav Tautenhahn u, Friedr. Osnabrück.
Und es grüsst Euch fielmals von Herzen
Euere Schwägerin gez. Christel
ich binn bei mein Willem bihs um Mitternacht. (Quelle: Bestands-Nr. 241-1 I Justizverwaltung I, Signatur 2546)
Friedrich Jansen wurde am 5.9.1883 in Krempel geboren.
1909 kaufte er die Weinhandlung von Waldemar Oldenburg am Meldorfer Südermarkt. Schnell wuchs der Kundenstamm über Dithmarschen hinaus und damit auch das Ansehen Jansens und seiner Familie.
In Meldorf war Jansen ein angesehener Bürger und Kaufmann.
Kommunal- oder parteipolitisch ist Friedrich Jansen in der Zeit der Weimarer Republik nicht in Erscheinung getreten.
Der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung wählte ihn nach den Wahlen 1929 durch Zuruf in den Vorstand der Meldorfer Stadtsparkasse.
Nach den Neuwahlen vom 12.3.1933 wurde Jansen nicht wieder gewählt, aber vom damaligen Bürgermeister Schmedtje erneut in den Vorstand berufen.
1938 wurde der Ziegeleibesitzer Georg Herwig neues Mitglied im Vorstand. Er war Parteimitglied der NSDAP seit 1.3.1929 und Sturmhauptführer des NSKK.
Sieben Tage später sah sich Jansen "leider gezwungen" zurückzutreten. Kurz danach wurde Jansen wegen angeblicher "fortgesetzter Steuerhinterziehung" vom Finanzamt Meldorf mit 15.000 RM bestraft.
1938 wurde als Nachfolger von Schmedtje Ferdinand Diekmann in das Amt des Bürgermeisters eingeführt.
Der Buchdruckermeister Ferdinand Diekmann war Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP (Beitrittsdatum 11.6.1926). Seine völkische Karriere führte ihn von der DNVP 1919 über den Völkisch-sozialen-Block und den Stahlhelm zur NSDAP. Dabei ist es kein Zufall, daß Diekmann in Albersdorf lebte und dort als "besonderer Agitator" bekannt war.
Dies sollte ihm nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 nicht nur Partei-, sondern auch staatliche Ämter einbringen. Zugleich spielte er eine führende Rolle in der dithmarscher SA, in der er den Rang eines SA-Standartenführers erhielt.
1933 wurde er Amtsvorsteher der Kirchspielslandgemeinde Albersdorf, ab 1938 schließlich hauptamtlicher Bürgermeister von Meldorf und ab 1939 kommissarischer Kreisleiter der NSDAP.
Am 11. Mai 1945, drei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, die die Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutete, traf sich bei Friedrich Jansen eine Gruppe von Männern aus allen politischen Lagern, um zu beratschlagen, wie in Meldorf ein Neuanfang begonnen werden könnte. Sich selber sahen sie als die neue Meldorfer Stadtvertretung. Sie waren auch von der Sorge getrieben, daß die Nationalsozialisten den Briten noch bewaffneten Widerstand leisten könnten.
Gerüchte über Wehrwolf-Einheiten und eilig bewaffnete HJ-Mitglieder hielten sich hartnäckig und entbehrten wohl nicht jeder Grundlage. Von den Versammelten wurde beschlossen, der britischen Militärverwaltung den Rechtsanwalt Dr. Nagel als neuen Bürgermeister vorzuschlagen. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt Friedrich Diekmann noch im Amt. So wurde ebenfalls beschlossen, eine Delegation in das Rathaus zu entsenden, um Diekmann aufzufordern, seinen Posten zur Verfügung zu stellen.
Friedrich Jansen erklärte sich bereit, zum Rathaus zu gehen und mit Diekmann zu reden, da sie miteinander bekannt waren und sich duzten. Er wurde von Friedrich Schröder, Max Nommensen und Ernst Reddig unterstützt. Die Delegation begab sich zum Rathaus, wo sie beim zweiten Versuch Diekmann im Garten hinter dem Rathaus vor dem Luftschutzkeller antrafen. Jansen begann die Verhandlungen, indem er in etwa sagte: "Hör mal Ferdinand, du weißt ja selber, wie die Sachlage ist und wir sind beauftragt, dich zu bitten, daß du deinen Bürgermeisterposten niederlegst."
Der Angesprochene dachte jedoch nicht daran, er zückte eine Pistole und streckte Jansen mit zwei bis drei Schüssen in den Bauch und in den Oberschenkel nieder. Die drei übrigen Mitglieder der Delegation ergriffen die Flucht und informierten die entsetzen Mitstreiter in Jansens Wohnung. Vom Hausmeister wurden die bewaffneten Beamten der Stadtwache, die ebenfalls im Rathaus untergebracht war, zu Hilfe gerufen.
Wachführer Heinrich Kammrath, altes SPD-Mitglied, griff sofort zu seinem Karabiner und rannte in den Garten. Dort fand er nicht nur den sterbenden Jansen vor, sondern auch den Bürgermeister, der sogleich das Feuer auf ihn eröffnete. Kammrath tötete daraufhin Diekmann mit einem Kopfschuß.
In der Meldorfer Kirchenchronik steht, daß Bürgermeister Diekmann "sang- und klanglos wie ein Hund beerdigt wird", eine große Trauergemeinde gab dagegen dem letzten Opfer des Faschismus in Meldorf am 19. Mai die letzte Ehre. Hans Jansen führte die Weinhandlung Jansen bis 1978 weiter.
1955 ging bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe ein anonymes Schreiben ein, das mit "Mehrerer Einwohner Süderdithmarschens !" unterzeichnet war. Hierin stellen sie [Pullout: Friedrich Jansen] -nicht ungeschickt in Fragen verpackt- das Geschehen auf den Kopf. Nach ihrer Darstellung habe Diekmann in Notwehr geschossen und sei von Kammrath erschossen worden, obwohl dieser ihn nicht hätte töten müssen. Die Schreiber fordern, daß "einmal eine Untersuchung" eingeleitet werde.
Die "Ermittlungssache zum Nachteile Dieckmann" wird am 22.5.55 eröffnet. Zu einem Verfahren gegen Kammrath kam es allerdings nicht. Die Staatsanwaltschaft kam nach der Befragung diverser Zeugen eindeutig zu dem Schluß, daß Kammrath in Notwehr gehandelt hatte und legte damit den Vorgang zu den Akten.
Ein weiteres Nachspiel gab es nach der zweiten Veröffentlichung im Jahre 1985. In dem Sitzungssaal der Kirchspielslandgemeinde Albersdorf hängt ein Portät von Ferdinand Diekmann. Die Forderung von Gerhard Wiechmann aus Meldorf dieses Porträt, mit dem ein Mörder geehrt werde, abzuhängen, wurde von der Albersdorfer SPD unterstützt. Die Auseinandersetzung zog sich über Monate hin und wurde immer schärfer.
Der Antrag der SPD wurde schließlich abgelehnt, da es sich bei den Bildern nach Mehrheitsmeinung nur um eine Dokumentation, nicht um eine Ehrung handele. Das Porträt von Diekmann hängt auch heute noch unkommentiert an seinem Platz.
Bereits 1983 und 1985 hatte sich Reimer Jansen an die Stadt gewandt mit der Bitte, eine Straße in Meldorf nach seinem Großvater Friedrich Jansen zu benennen. Bürgermeister Jacobsen zeigte sich interessiert, bei einer Neubenennung würde sein Vorschlag Berücksichtigung finden, wenn es in einem Neubaugebiet passende Straßennamen gäbe.
Reimer Jansen hakte 1992 nach und unterbreitete den Vorschlag, am Meldorfer Rathaus eine Gedenktafel anzubringen, die das Schicksal seines Großvaters dokumentiere. Bürgermeister Thiessen antwortete, daß der Hauptausschuss eine Tafel ablehne, aber die Straßenbenennung weiter in Erinnerung sei.
Nach einer neuerlichen Anfrage im Jahre 2005 stellt sich heraus, daß der Schriftwechsel von 1983-92 im Rathaus nicht mehr vorlag, Bürgermeister Rieger greift aber den Vorschlag auf und im Neubaugebiet Delfen II wird eine Straße den Namen Friedrich Jansens tragen.