Am 1. April
rücken die neuen Rekruten ein, und zum 1. Mai kommt Hinrich
Heuck vom Militär zurück. Er hatte noch einige
Wochen "nachzudienen". Seine Frau steht mit dem Säugling
auf dem Arm an der Pforte, als der junge Vater heimkommt. Sie
hatte im Frühjahr schon hochschwanger die Tonne Land, die
zur Kate gehört, bestellt und den Hausgarten
hergerichtet. Nicht lange nach der Rückkehr des jungen
Vaters beginnt die Heuernte. Hinrich Heuck steht wieder in Arbeit.
Die Gersten- und die Weizenernte schließt sich an. Die
Frau fällt in diesem Jahr als Arbeitskraft bei den Bauern
wegen des Säuglings aus, sie kann sich nur um das eigene Land
kümmern. So muss Hinrich allein das bitter nötige Geld
verdienen. Morgens um vier Uhr steht er in der Gerstenernte bereits
mit der "Sichte" auf dem Feld, um das reife Getreide zu "hauen". In
der Weizenernte geht es mit der Sense weiter. Immer vom
Sonnenaufgang, wenn das Korn abgetrocknet ist, bis um zehn,
manchmal halb elf Uhr in der Nacht, ein langer Tag, für nur
wenig Geld. In der Zeit des Frühherbstes folgt die Kohl- und
Rübenernte. Aber auch der "Dreschdampfer" beginnt seine Runde
auf den Bauernhöfen zu drehen. Hinrich geht lieber zu den
"Dampermonarchen", zusammengelaufenem Volk, mit denen der
Tagelöhner sich aber gut versteht. Nur an ihren "Saufparteien"
nimmt der junge Vater nicht teil. Ist der Tag beim Dreschen auch
noch länger und die Arbeit noch härter als in der
Hackfruchternte, hier ist mehr Geld zu verdienen. Nur in
Zeiten, da auf den umliegenden Höfen kein "Dampfer" heult und
brummt, verdingt Hinrich Heuck sich in der Hackfruchternte.
Bald folgt der Vorwinter mit seinen Stürmen und Regentagen.
Die Wege in der alten Marsch werden grundlos, der Klei ist
zäh. Geht die Frau nur zum Höker, sind Beine und
Rocksäume nass und schlammbedeckt. Kommt der Mann abends von
der Arbeit, sieht er aus, als hätte er sich mit den Schweinen
im Schlamm gewälzt. Dann kommt der gefürchtete Winter.
Die Arbeit für den Tagelöhner ist beendet. Nur noch
gelegentlich wird er zu dringend nötigen Arbeiten geholt.
Jetzt gilt es, mit dem im Sommer verdienten Geld hauszuhalten.
Um die Weihnachtszeit wird eines der beiden Schweine im Koben
geschlachtet, das andere verkauft. Es ist wieder etwas Geld im
Haus, es muss bis zum Beginn der Frühjahrsarbeiten reichen.
Noch ein schweres Jahr muss Hinrich Heuck allein für den
Unterhalt seiner kleinen Familie sorgen. Es wird einige Zeit
vergehen, bis seine Frau wieder als Landarbeiterin mithelfen kann,
denn noch zwei Kinder, erst die kleine Minna, dann Bruder Otto
folgen rasch aufeinander und vervollständigen die Familie. Im
Sommer wird der kleine Christian mit anderen Altersgenossen
zusammen am Feldrain abgelegt, wo er sich mit den Käfern,
mit Grashalmen und Holzstückchen beschäftigt. Im Herbst,
bei der Hackfruchternte, ist es ärger. Ist schönes
Wetter, kommt der Kleine mit aufs Feld, ist böses Wetter, wird
er von "Oma-Nosche", einer alten Nachbarin, aufgepasst. Die Winter
sind das Schlimmste für den kleinen Mann. Manchmal baut der
Vater für ihn einen Schneemann, aber meistens muss er den
Tag bei der Mutter in der Küche verbringen, in der noch der
offene Herd qualmt. Er geht mit der Mutter in den Stall und
streichelt die "Busches", wie er die Schweine nennt, und
weint, wenn sie kurz vor Weihnachten "weggelaufen" sind. So vergeht
die Kleinkinderzeit. Bald ist der Junge fünf Jahre alt. Jetzt
kann er schon mit den anderen Landarbeiterkindern, jeder mit einem
Sack bewaffnet, an den Wegrändern Kaninchenfutter
pflücken. Auch Disteln muss er stechen und Brennnesseln
schneiden, die er nachher in einer Kiste zu Grünfutter
für die Schweine zerstampft. Zeit zum Spielen bleibt nicht
viel, denn auch auf die Geschwister muss aufgepasst werden, wenn
die Mutter nicht im Haus ist. Höchstens einmal werden an
Spätsommerabenden die Äpfel-, Birnen- und
Pflaumenbäume der Bauern "besucht". Aber wehe, man wird
erwischt(!), dann setzt es ein ordentliches "Morsvull" auf den
bloßen Hintern. Die Schulzeit bringt "Krüschan", wie ihn
jeder in dem kleinen Dorf nennt, mit Anstand hinter sich. Er ist
der Beste im Rechnen. Im Frühjahr hilft er nach der Schule der
Mutter bei der Bestellung des Stückchen Lands, das zu der
Kate gehört. Bei der Ernte muss allerdings an so manchem Tag
die Schule versäumt werden, denn dann muss auch ein Schuljunge
schon Garben schleppen und nachharken. Jeder Pfennig ist
wichtig für den kleinen Kätnershaushalt. Der Lehrer
kneift ein Auge zu, denn er weiß um die Not der Landarbeiter
und Kätner. Nach der Konfirmation in der kleinen Kirche in
Neuenkirchen mit vierzehn Jahren verdingt sich Christian Heuck bei
verschiedenen Bauern. Erst als "Lüttknecht", später als
Knecht. Unter anderem verbringt er auch eine Zeit auf dem Hof
eines Bauern Matthiessen. Zu der Zeit weiß er noch nicht,
dass der Sohn seines Brotherren später einmal als SA-Mann und
Kreisleiter der NSDAP einer seiner erbittertsten Feinde sein
wird. Unter den Knechten und Arbeitern kommt er während dieser
Zeit mit sogenannten "Sozialisten" in Berührung. Mit ihren
Ideen sympathisiert er, ohne Mitglied einer Organisation zu werden.
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